Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out
hinter seinem Rücken lag die Freiheit.
Als es vorbei war, verfluchte sie ihn aus lauter bitterer Wut als perverses Schwein, obwohl sie wusste, dass das nicht stimmte. Satake war weder pervers noch wahnsinnig. Er irrte nur umher, auf
der verzweifelten Suche nach etwas, nach dem er sich verzehrte. Wenn er glaubt, dass ich es besitze, dachte sie, werde ich ihm so viel er will davon geben. Wenn sie so ihr Leben retten könnte, warum nicht?
Masako wartete sehnsüchtig darauf, dass die Sonne endlich in die Fabrikhalle fallen und die Temperatur auch nur um eine Winzigkeit anheben mochte. Sie konnte diese Kälte einfach nicht mehr länger ertragen. Sie hatte nicht gewusst, dass Frieren solche schlimmen Schmerzen verursachte. Wie sehr sie sich auch bewegte, um sich warm zu halten, ihr Körper verfiel immer wieder automatisch in heftiges, krampfartiges Zittern, dem nicht Herr zu werden war.
Aber wahrscheinlich würde sich die ausgekühlte Luft in der Halle sowieso nicht erwärmen, bevor die Sonne nicht ihren höchsten Stand erreicht hatte. So lange reichten ihre Kräfte nicht. Sie wollte nicht aufgeben, aber sie wusste auch, dass sie erfrieren würde, wenn es so weiterginge. Während sie den Zitterkrämpfen standhielt, die sie in immer kürzeren Abständen überfielen, sah sie sich in der Halle um. Die Ruine einer Fabrik. Ein Sarg aus Beton. An einem ebensolchen Ort habe ich in den letzten zwei Jahren die Nächte durchgeschuftet, dachte sie und konnte nicht umhin, es als Schicksal zu begreifen, hier vielleicht auch sterben zu müssen. War das das unbarmherzige Schicksal, das sie hinter jener Tür erwartete, die sie aufgestoßen hatte? Hilf mir, murmelte Masako tief in ihrem Herzen. Aber es war weder Yoshiki noch Kazuo, von dem sie sich Hilfe erhoffte. Sie wollte Hilfe von dem Mann, der sie hier gerade quälte.
Vorsichtig drehte sie den Kopf und suchte Satake. Etwas entfernt von dem Fließbandunterbau, auf dem sie lag, saß er im Schneidersitz auf dem Boden und beobachtete, wie sie zitterte. Nicht, als weidete er sich an ihrem Leiden, sondern als würde er auf etwas warten.
Aber worauf? Masako versuchte durch die Dunkelheit in sein Gesicht zu schauen. Er sah immer wieder zu den Oberlichtern hoch. Vielleicht wartete er auf den Sonnenaufgang. Ebenso wie sie zitterte er vor Kälte, aber ihm schien das Frieren wenig auszumachen, denn er war immer noch vollkommen nackt.
Er spürte ihren Blick und sah sie an. Sie merkte, wie sich ihre Augen im Dämmerlicht trafen. Gereizt zündete er sein Feuerzeug, hielt es einen Moment in ihre Richtung und machte sich dann eine Zigarette an. Er sah sie forschend an, und plötzlich wusste Masako, was er so heftig herbeisehnte. Er wartete darauf, dass es endlich hell wurde. Wenn es erst hell war, würde er das, was er von ihr begehrte, zur Genüge betrachten können, darauf harrte er. Und wenn er gefunden hatte, wonach er suchte, würde er sie umbringen. Masako schloss die Lider.
Sie spürte einen Lufthauch und machte die Augen wieder auf. Satake war aufgestanden. Sie sah, wie er etwas aus seiner Tasche nahm, ein längliches, schwarzes Futteral. Offensichtlich ein Messer in der Scheide. Ob er sie damit aufschlitzen wollte? Die Kälte des Metalls unter ihrem nackten Rücken bohrte sich noch beißender in ihr Fleisch, und die entsetzliche Vorstellung, die ihr die Eingeweide umdrehte, beschleunigte einmal mehr das heftige Zittern. Die Angst verstärkte die Schüttelkrämpfe. Aber sie wollte Satake unter allen Umständen in dem Glauben lassen, das sei alles nur, weil sie so fror. Damit er sie nicht durchschaute, wandte sie ihr Gesicht ab.
Endlich fiel die Sonne auf sie.
Masako spürte, wie ihre vor Kälte steife, spröde Haut regelrecht aufatmete und sich die fest verschlossenen Poren öffneten. Nur noch ein wenig aufwärmen, dann werde ich endlich in Schlaf fallen, dachte sie, erinnerte sich aber gleich darauf an das Messer, das Satake hervorgeholt hatte, und musste über die eigene Dummheit lachen. Daraus konnte leider nichts mehr werden, da sie ja sowieso umgebracht würde.
Für gewöhnlich kam sie um die Zeit wie jetzt, da die Sonne aufging, von der Fabrik nach Hause zurück, machte das Frühstück und ließ die Waschmaschine laufen. Wenn die Sonne hoch am Himmel stand, war Schlafenszeit. Was Yoshiki und Nobuki wohl von ihr denken würden, wenn sie nie wieder heimkam? Aber ganz gleich, ob sie hier ermordet werden würde oder mit dem Leben davonkommen konnte – von ihrer Familie
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