Die Un-Heilige Schrift
Jesus zwischen seinem fünften und seinem zwölften Lebensjahr? Woher genau kommt eigentlich Maria – und wie kann es sein, dass sie ihre Jungfräulichkeit bewahrte, obwohl Jesus sogar noch etliche Brüder und Schwestern hatte? Und welche Rolle genau hatte Maria Magdalena inne?
Auch das Alte Testament konfrontiert mit zahlreichen Unerklärlichkeiten – allen voran Kain, der irgendwann plötzlich heiratet und Kinder bekommt, ohne dass je von einer anderen Frau als Eva die Rede gewesen wäre.
Für diese zahlreichen Schriften setzte sich die Bezeichnung Apokryphen durch, obwohl der Begriff nur bedingt zutreffend ist. Das griechische Wort „apokryphos“ bedeutet wörtlich verborgen, geheim, was aber auf die teilweise sehr populären Texte wie das Kindheitsevangelium nach Thomas überhaupt nicht zutraf.
Verborgen – verboten – verb(r)annt
Einige wenige Texte waren freilich genau das: Vor allem frühchristliche Gnostiker beriefen sich gerne auf Schriften, die in ihren eigenen Kreisen geheim gehalten wurden. Die immer machtvoller werdende spätere katholische Kirche betrachtete diese Texte als „ketzerisch“, weshalb „apokryph“ gleichbedeutend mit „verfälscht, häretisch“ verstanden wurde. Durchgesetzt hat sich jedoch letztendlich die Bedeutung „außerkanonisch“ oder „nichtbiblisch“ – im weitesten Sinn also jeder Text, der nicht in der Bibel steht, sich aber der Personen und Ereignisse aus der Bibel bedient.
Auch heute noch entstehen Apokryphen.
Die Apokryphenproduktion hat nie aufgehört – ebensowenig wie der Disput um diese Texte oder die Wirkung auf die Gläubigen; Heiligengeschichten, Marienverehrung, das Bild Maria Magdalenas waren durch alle christlichen Zeiten beliebter Legenden- und nicht selten hoch brennbarer Zündstoff. Mit kontroverser Bibelauslegung, so sie den Zeitgeist trifft, lässt sich auch heute noch mediale Aufmerksamkeit erzielen oder, weniger vornehm ausgedrückt, Kasse machen.
Apokryphen entstehen immer noch. Jesus Christ Superstar, das Rockmusical von Andrew Lloyd Webber, ist eine Apokryphe. Dan Browns Megabestseller „Sakrileg“ fußt u. a. auf einer apokryphen Maria-Magdalena-Geschichte, über deren historischen Gehalt mit Publikationen im Zweimonatstakt gestritten wird. Der Wirkung des unter dem Titel „The Da Vinci Code“ verfilmten Thrillers tat die Tatsache, dass Dan Brown selbst ausdrücklich von Fiktion sprach, keinen Abbruch – in Italien wandte man sich sogar der schlechten alten Unsitte der Bücherverbrennung wieder zu.
Es erinnert ein wenig an TV-Serien-Produktion: Man nehme eine Handvoll Figuren, schreibe diesen diverse Charaktereigenschaften zu, bestimme Zeit und Ort der Handlung und schon kann es losgehen mit dem Geschichtenerfinden.
Moment: Hier fehlt der wichtigste Bestandteil. Die Absicht, mit der ein Text verfasst wird. Oder anders gesagt: Das Ziel ist der Weg.
Wer waren die Bibliothekare des Buchs der Bücher?
Das führt uns wieder an den Anfang zurück: Welche Absichten verbanden die christlichen Frohbotschaftsverkünder, die Kirchenväter, die ersten Prediger, die Volksfrömmler, die Unterhaltungsliteraten und wer auch immer sich berufen fühlte, Storys rund um den Messias (= Christus = der Gesalbte), seine Mutter, seine Jünger(innen) und seine Feinde zu verfassen, mit ihren Texten? Wer wählte aus – und warum? Wer verwarf Texte – und warum? Um auf die (Un-)Heilige Schrift zurückzukommen: Wer waren die Bibliothekare des Buches der Bücher? Die Antworten auf diese Fragen werfen ein starkes Licht auf die Anfänge der Christenheit, auf die Entstehung der Kirchen und Konfessionen und das Selbstverständnis der theologischen Elite.
Entstehungsgeschichte der Bibel
Um Christi Geburt befand sich die jüdische Gesellschaft in einer Zeit des Umbruchs, geprägt von messianischer Heilserwartung und dem Bestreben, die römische Herrschaft abzuschütteln.
Die Grundlage der Gesellschaft bildete das Gesetz – die mosaischen Regeln und zahlreiche weitere (prophetische) Schriften, die seit rund 800 Jahren aufgezeichnet wurden. Darin wird mehrfach der Begriff „Messias“ verwendet, und zwar immer in Verbindung mit entweder den Königen von Israel oder dem Hohepriester. „Messias“ bedeutet nichts anderes als „der Gesalbte“; obligatorisch mit dem Zusatz „von Gott“. (Die Inthronisation eines Königs war von einer rituellen Salbung begleitet.) Der Begriff erfuhr allerdings ab dem 1. Jh. v. Chr. einen Bedeutungswandel vom Ehrentitel zur
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