Die Unbezähmbare
schnell aufzugeben.
Ohne dass sie es wollte, kehrten die Erinnerungen an ihre gemeinsame Zeit zurück. Früher hatte er sie beschützend in die Arme genommen, wenn sie wieder einmal vor der Enge ihres Zuhauses geflohen war.
“Komm nach Hause mit mir, meine Jasmine. Komm mit nach Zulheil.”
So hatte er sie oft beschworen.
“Ich kann nicht! Meine Eltern …”
“Sie wollen dich festhalten, Mina. Ich würde dich befreien.”
Welch bittere Ironie, dass der Mann, der ihr einst Freiheit versprochen hatte, sie jetzt offenbar einsperren wollte.
“Ich war erst achtzehn!”, rief Jasmine abrupt.
“Jetzt bist du keine achtzehn mehr.” Er klang gefährlich.
“Kannst du nicht verstehen, was das damals für mich bedeutet hat?”, rief sie flehend. “Es waren schließlich meine Eltern, und dich kannte ich erst sechs Monate.”
“Warum hast du mich dann – wie nennt ihr das?” Er hielt inne. “Ja … warum hast mich dann so zum Narren gehalten? Hat es dich amüsiert, einen echten Araber um den kleinen Finger wickeln zu können?”
So war das nicht gewesen. Damals, mit achtzehn, war ihr Selbstvertrauen kaum entwickelt gewesen. Er jedoch hatte ihr das Gefühl gegeben, von Bedeutung zu sein. “Nein! Ich habe nicht …”
“Genug.” Tariqs schneidende Stimme brachte Jasmine zum Schweigen. “Jedenfalls, als deine Familie dich aufgefordert hat, eine Entscheidung zu treffen, hast du dich nicht für mich entschieden. Und du hast mir nicht einmal etwas davon gesagt, sonst hätte ich für unsere Sache kämpfen können. Es gibt nichts weiter dazu zu sagen.”
Jasmine schwieg. Ja, es stimmte. Wie sollte sie einem Mann wie ihm verständlich machen, wie das damals für sie war? Tariq war von Kindheit an zum Herrscher erzogen worden und hatte nie erfahren, wie es war, erniedrigt und klein gemacht zu werden, bis man kaum noch wusste, wer man war. Unwillkürlich zog sie die Schultern ein, als sie an jenen Tag dachte, der ihr Leben für immer verändert hatte. Ihr Vater hatte ihr verboten, sich mit Tariq zu treffen. Sie hatte ihn angefleht, doch er hatte sie vor die Wahl gestellt: entweder der Araber oder die Familie.
Er hatte Tariq immer als “den Araber” bezeichnet. Nicht aus rassistischen Gefühlen, nein, viel schlimmer.
Anfangs hatte Jasmine geglaubt, ihre Familie erhoffe sich eine Verbindung für sie mit einer der anderen Familien des Landadels. Erst später hatte sie die ganze hässliche Wahrheit erfahren.
Die schöne Sarah hatte sich gewünscht, Prinzessin zu werden. Und alle hatten geglaubt, dass es passieren würde. Wenn es nach ihrer Familie gegangen wäre, dann hätte Tariq um Sarah werben sollen. Allerdings hatte er vom ersten Moment an nur Augen für Jasmine gehabt, die Tochter, die gar keine Tochter war; die Tochter, für die man sich schämen musste.
Das ausgedehnte Hügelland, in dem Jasmine aufgewachsen war, gehörte seit Generationen den Coleridges. Jasmines Eltern waren es also gewohnt, in ihrem kleinen Reich zu herrschen wie Könige, und sie waren beunruhigt wegen Tariqs Willensstärke. Erschwerend kam hinzu, dass er Jasmine Sarah vorgezogen hatte. Hätten sie eine Heirat mit Jasmine zugelassen, dann hätten sie die falsche Tochter glücklich gemacht und wären zeitlebens mit der Tatsache konfrontiert gewesen, dass es ihnen nicht gelungen war, Tariq in ihrem Sinn zu manipulieren.
Die Wahrheit war alles andere als schön. Jasmine konnte sich nicht länger in dem Glauben wiegen, sie sei die geliebte, behütete Tochter ihrer Eltern, die nur ihr Wohl im Sinn hatten.
“Hast du inzwischen das Bewässerungssystem eingeführt?” Jasmines Stimme klang dünn. Sie waren sich begegnet, als Tariq nach Neuseeland gekommen war, um sich über das revolutionäre Bewässerungssystem, das eine der Nachbarfamilien entwickelt hatte, zu informieren.
“Es ist seit drei Jahren erfolgreich im Einsatz.”
Sie nickte stumm und lehnte den Kopf an die Rückenlehne. Mit achtzehn hatte sie die falsche Entscheidung getroffen, weil sie schreckliche Angst davor gehabt hatte, die einzigen Menschen zu verlieren, von denen sie sich akzeptiert gefühlt hatte, trotz ihres Makels. Erst vor einer Woche hatte sie eben jenen Menschen den Rücken gekehrt und sich auf den Weg gemacht, um die wunderbare Liebe, die sie mit Tariq verbunden hatte, neu zu beleben.
Was er wohl sagen würde, wenn er wüsste, dass sie jetzt ganz allein war?
Ihr Vater hatte seine Drohung wahr gemacht und sie verstoßen. Aber diesmal hatte sie sich davon
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