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Die undankbare Fremde

Die undankbare Fremde

Titel: Die undankbare Fremde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irena Brezna
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Satz in unserer Sprache zu sagen. Das ist Widerstand. Er will nicht hier bleiben«, sagt die Psychologin.
    Die Frau schüttelt sich, man meint die Knochen klappern zu hören. Doch es ist bloß ihre metallene Halskette, die an den flachen Brustkasten schlägt.
    »Mein Kind braucht mich jetzt mehr denn je.«
    »Sie sind eine überfürsorgliche Mutter.«
    Die Frau ist sprachlos. Mutterliebe soll schlecht sein?
    »Die Beziehung zwischen Mutter und Sohn darf in ihrer Kultur eng sein, sogar enger als zwischen den Eheleuten«, werbe ich für Verständnis.
    Die Frau pflichtet mir bei und winkelt die Arme wie Flügel an. Und als besinne sie sich, dass gewisse Vögel sich in der Brut abwechseln, sagt sie:
    »Würde sich mein Mann bloß um ihn kümmern. Doch er kennt nur eine Erziehungsmethode: Sport und Militärdrill.«
    »Sie sollten sich kleine Inseln schaffen. Gehen Sie ins Café, plaudern Sie mit einer Freundin.«
    »Aber ich rede doch stundenlang über Skype mit meiner Schwester. Sonst wäre ich hier längst verrückt geworden.«
    Die Einheimische ruft der Ertrinkenden vom Festland zu:
    »Kleine Inseln!«
    Und das gekenterte Kind treibt auf dem Fettfloß.
    Die Frau geht zu einem Treffen der Landsleute, erfährt moderne Gruselmärchen von Männern, die ihre Importbräute mit Hunger zum Gehorsam zwingen, sie gar an fremde Männer verkaufen, um die eigene Drogensucht zu finanzieren. Da erscheint ihr der eigene Gatte als Wohltäter.
    Doch der Junge fehlt weiterhin in der Schule. Er surft den ganzen Tag im Internet.
    Die Schulpsychologin hat sich den Weg vorbei an dem betrunkenen Mann und seinem bellenden Pitbull erkämpft und betritt das Kinderzimmer:
    »Wenn du ein Zauberer wärst, was würdest du herbeizaubern?«
    »Ich würde den bösen Mann in einen Hut stecken und ihn verschwinden lassen.«
    »Was macht der böse Mann?«
    »Er schreit mich an und schlägt den Hund.«
    Der Junge küsst ein Kätzchen auf die Schnauze und legt es sich um den Hals, als wäre es der biegsame Teil seines eigenen unbeweglichen Körpers. Der Kater reißt sich los und kratzt sehnsüchtig an der Tür, aber im Gang wartet der Pitbull. Die Frau weiß nicht, wie jetzt beide aus der Falle herauskommen sollen. Lässt sie sich scheiden, werden sie in die Heimat ausgewiesen. Was für eine Schande. Schon sieht sie die hämischen Blicke.
    »Wenn Sie hier bleiben wollen, müssen Sie drei Dinge anpacken: die Wohnung, die Sprache, die Arbeit. Ich warne Sie, es wird schwierig sein, hier Fuß zu fassen. Meine Landsleute haben eine viereckige Seele.«
    »Meine Mutter ist stark wie eine Kakerlake«, sagt der Junge.
    »Eine Kakerlake zu Hause und eine in der Fremde, das ist nicht dasselbe«, meint die Psychologin.
    Zwei Stunden lang hat der Junge den Kater gestreichelt, beide sind berührungssüchtig geworden. Jetzt küsst er die Mutter, lange und innig. Ein Vierzehnjähriger, der sich die bequemste aller Lieben holt, statt draußen eine neue zu erobern. Und eine Frau tauscht ihre Selbstständigkeit gegen eine sie unmündig machende Ehe. Bloß, weil die Absteige in einem reichen Land liegt. Meinte sie, sie würde das Land heiraten? Vor ihr hat der Blaubart schon zehn Bräute zu sich gelockt. Seinem Geschmack bleibt er treu – alle stammten aus demselben Land. Nur eine schaffte es, die Ehe so lange durchzustehen, bis sie die Aufenthaltsbewilligung bekam.
    Der Mann fängt an, im Suff seine elfte Anvertraute zu schlagen, und höhnt:
    »Geh doch zur Polizei. Das wird deine Abschiebung nur beschleunigen.«
    Sie tröstet sich mit einem Zuspruch, den ihr die Mutter, die Großmutter und alle lieben Mitmenschen gegeben haben. Man kann ihn auf zwei Arten übersetzen:
    »Gedulde dich« oder »Erdulde es«.
    Alles säuberlich getrennt, Gefühl von Verstand, Privatsphäre von Beruf, Gott von Staat. Bloß die Wirtschaft und das Militär waren ein einziger Glaubenskuchen. Jedes Jahr rückte unser Nachbar für ein paar Wochen als dekorierter Brigadier ein. Als gewöhnlicher Füsilier mit Handgranate oder als Panzerabwehrlenkwaffensoldat hätte er die Versuchsratten in der Pharmaindustrie nicht befehligen dürfen. Karriere da, Karriere dort, das eine ging nicht ohne das andere. Wenn sein Sohn die Säkularisierung forderte, riet ihm der Vater erbost, sich doch eine Fahrkarte zu kaufen, und zwar ins Reich des Bösen – so nannte er die Gegend, woher ich gekommen war. »Aber nicht retour!« Ein richtiges Vater-Sohn-Drama.
    Natürlich bevorzugte ich den Sohn, wir litten beide unter

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