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Die undankbare Fremde

Die undankbare Fremde

Titel: Die undankbare Fremde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irena Brezna
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ich erst im Exil kennengelernt habe. Und seine Augen danken es mir mit einem glücklichen Glanz.
    Für Kontrolle war gesorgt. Das Land war ein Geheimarchiv. Nichts sollte sich verflüchtigen. Was immer auch geschah, wurde aufbewahrt, katalogisiert, nach hohem Standard. Freiwillige Archivare tummelten sich überall. Kaum öffnete ich den Mund, schon durchbohrten sie mich mit Fragen:
    »Wann fand es statt, wie heißt der Ort, wer war dabei, wie heißt er?«
    Ich sagte etwas von der Stimmung, von meinen Gefühlen. Was für ein nutzloser Beitrag.
    »Mehr Genauigkeit, Fräulein.«
    Wollte ich allerdings genau sein und fragte sie nach ihrem Gehalt – diese zentrale Frage war bei uns Beweis für mitmenschliches Interesse – hoben sie den Blick und antworteten unwillig und unpräzise:
    »Genug.«
    Im Archiv hatte alles seinen Platz und einen Namen. Je unpersönlicher der Umgang war, umso mehr bestand man darauf, persönlich angesprochen zu werden.
    Grüßte ich die Nachbarin, ohne sie beim Namen zu nennen, hieß es in der Einbürgerungsakte:
    »Fräulein X . grüßt ihre Nachbarn nicht namentlich, sie ist ungenügend assimiliert.«
    Wer den Namen nicht weiß, der gehört nicht zu uns, ist fremd und unhöflich. Diese Begriffe waren identisch. Doch sosehr ich mich auch anstrengte, ich konnte mir den exotischen Namen Rüdisühli nicht merken. Den gütigen nachbarschaftlichen Blick dagegen würde ich bis ans Lebensende behalten.
    Mara war da findiger, nach »Adieu Frau« murmelte sie etwas und rundete es mit – li ab. Ihrem Geniestreich verdankte sie den Pass, dank dessen Röte sie an allen Grenzübergängen durchgewinkt wurde.
    Mir wurde eine weitere schwerwiegende Wiederholungstat vorgehalten: »Fräulein X . hat Winter für Winter das Schneeschaufeln unterlassen.«
    Verdorben durch die Diktatur, in der der Staat für alles zuständig war, hielt ich den Schnee für Allgemeingut, dabei war er eine mir anvertraute Privatlast.
    Ich besaß einen Staatenlosen-Pass. Wollte ich eine Grenze überqueren, wurde ich ins Zollhäuschen eingeladen. Misstrauisch wurde der blaue Pass geprüft. Kein Staat war für mich zuständig. Ich stand auf einem Quadratmeter Festland. Der Ich-Boden war mein einziger Halt. Ich fegte und schaufelte ihn mir frei und provozierte unverschämt weiter, behauptete, ich hätte das Datum meines Waschtages vergessen. Das trug dazu bei, dass fremdenfeindliche Gruppierungen Zulauf bekamen.
    Die Einbürgerungsdetektive rückten aus: »Wenn Fräulein X . vor dem Haus steht, haben Sie den Eindruck, es handelt sich um eine Einheimische?« »Oh nein«, antwortete mein Nachbar und suchte dann Entlastung bei mir: »Ich konnte doch vor den Herrschaften nicht lügen.«
    Ernsthaft blickende Männer aus verschiedenen Berufen und eine Hausfrau versammelten sich in einer Schule, stellten mir Fragen darüber, wie die Demokratie funktioniert, und ob ich denn wisse, wer die Macht in dieser gerechten Gesellschaft habe. Ich spürte es gerade zur Genüge. Der Vorsteher der Einbürgerungskommission gab betrübt zu bedenken:
    »Sie haben sich kritisch über unser Land geäußert.«
    »Weil ich eine gute Bürgerin bin.«
    Das Geschworenengericht fällte das Urteil:
    »Dem Einbürgerungsantrag kann nicht stattgegeben werden.«
    Aber ich gab nicht auf. Inzwischen war ich viele Jahre hier, hatte Freunde gefunden, und sie beglaubigten mir mit ihrer Unterschrift eine erfolgreiche Assimilation. Assimilation klingt nach Auflösung. Lieber wäre mir, sie hätten mir meine Partizipation bestätigt, aber dass Zugewanderte an der Gesellschaft teilnehmen und dabei bleiben dürfen, wie sie sind, hätte man damals nicht zu denken gewagt.
    Als schließlich die Feier des Gnadengeschenks kam, sagte der Einbürgerungsbeamte:
    »Sie sind jetzt alle glücklich und dankbar, unseren Pass in den Händen halten zu dürfen.«
    Menschen aus vielen Ländern saßen gesittet da, und niemand stand auf, um zu ergänzen:
    »Und Sie sind glücklich und dankbar, dass wir zu Ihnen gekommen sind.«
    Irgendwann muss man aufstehen. »Fräulein« vor meinem verstümmelten Namen – das war die uninteressanteste Person, die ich kannte, das heißt, ich kannte sie gar nicht, ich segelte unter einer unbekannten Flagge. Da holte ich mir beim Gericht meinen Namen zurück, den weiblichen, der mir der Hauptmann bei der Einreise geraubt hatte. Die Flügelchen, die er mir abgeschnitten hatte, wollte mir die neue schnörkellose Heimat allerdings nicht zurückgeben, also schrieb ich sie

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