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Die undankbare Fremde

Die undankbare Fremde

Titel: Die undankbare Fremde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irena Brezna
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bei der Muttersprache. Meine Stimme in dieser Sprache war hoch wie die der Kastraten. Ich rief ihr zu, herunterzukommen, doch sie blieb oben.
    Die neue Sprache war das größte Abenteuer des Exils, ich scheute keine Mühe, sie zu erkunden. Es ging um mehr als ums Überleben als sprachliches Wesen – ich wollte meine Sprachwürde. Die Schriftsprache redend, habe ich täglich gesagt: »Die Dialekte gehören euch. Ich werde sie verstehen lernen, aber selbst nicht sprechen.« So wie sie mein Geschenk der Hochsprache unbeachtet in der Ecke liegen ließen, genauso tat ich es mit ihren Dialekten. Was für eine tragische Sprachehe wir führten! Zuweilen zweifelte ich an mir. Scham über meine Sprachtat überkam mich, schwächte mich, und ich kämpfte dagegen an, redete mir zu: »Nicht die Sprache verbindet, sondern ihr Inhalt.« Sprach jemand laut in Dialekt, rannte ich manchmal davon, als könne ich der mich jagenden Heimatlosigkeit entfliehen. Ich konnte und wollte nicht ganz dazugehören, für immer würde ich abseitsstehen. Die Burg meiner Sprachidentität täglich zu verteidigen, war aufreibend. Doch in dieser weiten, reinen Einsamkeit gedieh die Hochsprache.
    Vor einem Gespräch wurde man höflich gefragt:
    »Verstehst du Dialekt?«
    Ich antwortete nicht mehr mit einem fügsamen Ja, sondern drehte es um. Nun verteilte ich die Karten:
    »Wollt ihr euch an eurer Hochsprache erfreuen?«
    Ab und zu fand sich jemand für solch verfemte Orgien, kreiste zusammen mit mir auf dem Parkett, es schwindelte uns, wir tranken berauschende Worte. Doch meinen Tanzpartner traf für diese Leichtfüßigkeit die Verachtung seiner Landsleute. Nur der, dem die Hochsprache lieblos, ungehobelt über die Lippen kam, wurde mit Stallwärme beschenkt. Und was für ein Frevel, wenn gar eine Fremde abheben wollte, Sprachschlösser entwarf. Sollte ich für immer eine Stammelnde bleiben? Ich hielt ihnen den Spiegel ihrer eigenen Behinderung vor, und sie verstießen mich:
    »Willst du nicht zurück in deine Muttersprache? Hast du nicht Heimweh nach ihr?«
    Ich habe meine Sprachgedanken geheim gehalten. Es war zu früh, sie auszusprechen. Aber ich lebte sie: Emigration heißt nicht, die angestammte Gemeinschaft gegen eine neue Mickrigkeit einzutauschen. Emigrazia ist dehnbar, elastisch, durchlässig. So soll auch ihre Sprache sein.
    Mara hielt den Druck nicht aus, sie fing an, in Dialekt zu radebrechen. Auf der Sprachkreuzung trennten wir uns. Mara tat es nicht aus Sprachlust, sie beschloss bloß, hier anzukommen. Ihre Anbiederung schmerzte mich. Eine stümperhafte Schriftsprache ist ein aufrechter Gang, hinkend zwar, doch ein Eingeständnis des Fremdseins. Mara wollte im Dialekt das Offensichtliche verbergen.
    Fünfzehn Jahre lang sprang sie um Damenköpfe herum, und ihre Sprache floss gedankenlos wie das Wasser, mit dem sie die Haare wusch. Doch bisweilen waren die Worte scharf wie die Schere. Sie ließ sich vom harten Leben da draußen nicht umstoßen. Ihr Frisörsalon war der Ort ihrer Selbstbehauptung. Dann meldete sie sich auf eine verlockende Heiratsanzeige. Ein Automechaniker, zwanzig Jahre älter als sie, auf dem Foto wirkte er seriös. Sie fragte ihren Sohn: »Willst du einen neuen Vater? Dann mach dich bereit«, und sie fuhren mit dem Zug zwei Tage und zwei Nächte ins Traumland.
    »Ich war ein Mensch, jetzt bin ich ein Niemand.«
    Sie ist noch jemand, ein wildes Muttertier, wähnt ihr Kind in Gefahr, setzt ihre schnelle Sprache zur Abwehr ein, und die dünnen Arme schneiden die Luft, die Augen durchbohren die Schulpsychologin.
    Diese korrigiert ihre Annahme:
    »Ich bin nicht da, um über Sie zu urteilen, meine Aufgabe ist der Schutz Ihres Sohnes. Warum fehlt er ständig in der Schule?«
    »Er steht morgens auf, schaut mich an, und ich sehe es ihm an: Hast du wieder Migräne? Und er sinkt zurück ins Bett.«
    »Er hat kaum Muskeln.«
    »Aber er geht doch zu Fuß zur Busstation.«
    »Die Schule will ihn nicht mehr haben.«
    »Er ist nicht aggressiv, er macht, was man von ihm verlangt. Ich tue meine Pflicht, mein Kind ist immer satt und sauber.«
    »Etwas stimmt in Ihrer Familie nicht.«
    »Es ist das Loch in meinem Mann. Er stopft es jeden Abend mit Alkohol zu. Mein Sohn bekommt Bauchweh, wenn er ihn nur sieht.«
    Die Frau steht unter Hochspannung, verbrennt die letzten Fettreserven. Der Junge dämpft die Stromschläge mit Fett. In der Fremde hat er achtzehn Kilo zugenommen.
    »In einem halben Jahr hat er es nicht fertiggebracht, einen ganzen

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