Die unendliche Geschichte
versuchen?«
»Jetzt nicht«, entgegnete Bastian, dem die Sache unbehaglich war, »vielleicht ein andermal.« »Findest du es wirklich schöner«, fuhr Xayíde fort, »auf einer alten Mauleselin zu reiten, als von Gebilden getragen zu werden, die dein eigener Wille bewegt?«
»Jicha trägt mich gern«, sagte Bastian ein wenig mürrisch, »sie freut sich darüber, daß sie mich tragen darf.«
»Dann tust du es also um ihretwillen?«
»Warum nicht?« erwiderte Bastian. »Was ist schlecht daran?«
Xayíde ließ grünen Rauch aus ihrem Mund steigen.
»Oh, nichts, Herr. Wie könnte etwas schlecht sein, was du tust.«
»Worauf willst du hinaus, Xayíde?«
Sie neigte den Kopf mit dem feuerfarbenen Haar.
»Du denkst viel zuviel an andere, Herr und Meister«, flüsterte sie. »Aber niemand ist es wert, deine Aufmerksamkeit von deiner eigenen wichtigen Entwicklung abzuziehen. Wenn du mir nicht dafür zürnst, o Herr, so wage ich es, dir den Rat zu geben: Denke mehr an deine Vollkommenheit!«
»Was hat das mit der alten Jicha zu tun?«
»Nicht viel, Herr, fast gar nichts. Nur - sie ist kein würdiges Reittier für einen wie dich. Es kränkt mich, dich auf dem Rücken eines so - gewöhnlichen Tieres zu sehen. Alle deine Weggenossen wundern sich darüber. Nur du, Herr und Meister, weißt als einziger nicht, was du dir schuldig bist.«
Bastian sagte nichts, aber Xayídes Worte hatten ihm Eindruck gemacht.
Als das Heer mit Bastian und Jicha an der Spitze am nächsten Tag durch eine wunderschöne Auenlandschaft zog, die ab und zu durch kleine Wälder aus duftendem Flieder unterbrochen wurde, benutzte er die Mittagsrast, um Xayídes Vorschlag auszuführen.
»Hör zu, Jicha«, sagte er und streichelte den Hals der Mauleselin, »der Augenblick ist gekommen, wo wir uns trennen müssen.«
Jicha stieß einen Wehlaut aus.
»Warum, Herr?« klagte sie. »Habe ich meine Sache denn so schlechtgemacht?« Aus den Winkeln ihrer dunklen Tieraugen rannen Tränen.
»Aber nein«, beeilte Bastian sich, sie zu trösten, »im Gegenteil, du hast mich diesen ganzen langen Weg so sanft getragen und warst so geduldig und willig, daß ich dich nun zum Dank belohnen will.«
»Ich möchte keinen anderen Lohn«, erwiderte Jicha, »ich möchte dich weitertragen. Was kann ich mir denn Größeres wünschen?«
»Hast du nicht gesagt«, fuhr Bastian fort, »daß du traurig darüber bist, daß euereins keine Kinder bekommen kann?«
»Ja«, meinte Jicha bekümmert, »weil ich ihnen gern von diesen Tagen erzählen würde, wenn ich sehr alt bin.«
»Gut«, sagte Bastian, »dann will ich dir jetzt eine Geschichte erzählen, die wahr werden soll. Und ich will sie nur dir, dir ganz allein erzählen, denn sie gehört dir.«
Dann nahm er Jichas langes Ohr in die Hand und flüsterte hinein:
»Nicht weit von hier, in einem kleinen Wald aus Flieder, wartet der Vater deines Sohnes auf dich. Es ist ein weißer Hengst mit Flügeln aus Schwanengefieder. Seine Mähne und sein Schweif sind so lang, daß sie bis zum Boden reichen. Er ist uns schon seit Tagen heimlich gefolgt, weil er unsterblich in dich verliebt ist.«
»In mich?« rief Jicha fast erschrocken, »aber ich bin doch bloß eine Mauleselin und jung bin ich auch nicht mehr!«
»Für ihn«, sagte Bastian leise, »bist du das schönste Geschöpf Phantásiens, gerade weil du so bist, wie du bist. Und vielleicht auch, weil du mich getragen hast. Aber er ist sehr scheu und wagt es nicht, sich dir zu nähern unter all diesen vielen Wesen hier. Du mußt zu ihm gehen, sonst wird er vor Sehnsucht nach dir sterben.«
»Ach du liebe Zeit«, meinte Jicha ratlos, »so arg ist es?«
»Ja«, flüsterte Bastian ihr ins Ohr, »und nun leb wohl, Jicha! Lauf nur zu, du wirst ihn finden.«
Jicha machte ein paar Schritte, drehte sich aber noch einmal nach Bastian um. »Ehrlich gesagt«, erklärte sie, »ich fürchte mich ein bißchen.«
»Nur Mut!« sagte Bastian lächelnd, »und vergiß nicht, deinen Kindern und Enkeln von mir zu erzählen.«
»Danke, Herr!« erwiderte Jicha auf ihre einfache Art und ging.
Bastian blickte ihr lange nach, wie sie da davonzockelte, und fühlte sich nicht recht froh darüber, daß er sie fortgeschickt hatte. Er trat in sein Prachtzelt, legte sich auf die weichen Kissen und starrte zur Decke hinauf. Immer wieder sagte er sich, daß er Jichas größten Wunsch erfüllt hatte. Aber das vertrieb seine düstere Stimmung nicht. Es kommt eben sehr darauf an, wann und warum man jemand etwas
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