Die unendliche Geschichte
Verhalten nicht mehr erklären. Die Sache im Sternenkloster ging beiden über den Verstand. Aber das vermehrte nur ihre Sorge um ihn.
In Bastian lagen zwei Empfindungen im Kampf miteinander, und keine von beiden konnte er zum Schweigen bringen. Er sehnte sich danach, mit Mondenkind zusammenzutreffen. Er war jetzt in ganz Phantasien berühmt und bewundert und konnte ihr als Ebenbürtiger gegenübertreten. Aber zugleich erfüllte ihn die Sorge, daß sie AURYN von ihm zurückverlangen würde. Und was dann? Würde sie versuchen, ihn zurückzuschicken in die Welt, von der er nun kaum noch etwas wußte? Er wollte nicht zurück! Und er wollte das Kleinod behalten! - Dann wieder kam ihm der Gedanke, daß es ja durchaus nicht gesagt war, daß sie es zurückhaben wollte. Vielleicht ließ sie es ihm, solang er wollte. Vielleicht hatte sie es ihm ja überhaupt geschenkt, und es gehörte für immer ihm. In solchen Augenblicken konnte er es kaum erwarten, sie wiederzusehen. Er trieb den Heerzug an, um schneller bei ihr zu sein. Doch schon überkamen ihn wieder Zweifel, und er ließ anhalten und Rast machen, um sich klar zu werden, womit er zu rechnen hatte.
So, in abwechselnd hastigen und überstürzten Märschen und stundenlangen Verzögerungen, hatte man schließlich den äußeren Rand des berühmten Labyrinths erreicht, jener weiten Ebene, die ein einziger Blumengarten voll verschlungener Pfade und Wege war. Am Horizont leuchtete in feenhaftem Weiß gegen den golden schimmernden Abendhimmel der Elfenbeinturm.
Die ganze phantásische Schar und auch Bastian standen in andächtigem Schweigen und genossen die unbeschreibliche Schönheit dieses Anblicks. Sogar auf Xayídes Gesicht lag ein Ausdruck von Staunen, den es noch nie zuvor gezeigt hatte und der freilich auch bald wieder verschwand. Atréju und Fuchur, die ganz im Hintergrund standen, erinnerten sich daran, wie anders das Labyrinth ausgesehen hatte, als sie das letztemal hiergewesen waren: zerfressen von der Todeskrankheit des Nichts. Jetzt schien es blühender und schöner und leuchtender als je zuvor.
Bastian beschloß, für diesen Tag nicht mehr weiterzuziehen, und so wurde das Nachtlager aufgeschlagen. Er schickte einige Boten aus, die Mondenkind seinen Gruß überbringen und ihr ankündigen sollten, daß er am folgenden Tag in den Elfenbeinturm einzuziehen gedächte. Dann legte er sich in seinem Zelt nieder und versuchte zu schlafen. Er wälzte sich auf seinen Kissen hin und her und seine Besorgnisse ließen ihn nicht zur Ruhe kommen. Er ahnte nicht, daß diese Nacht noch aus ganz anderen Gründen die schlimmste seines bisherigen Daseins in Phantasien werden sollte.
Gegen Mitternacht war er endlich in einen leichten, unruhigen Schlaf gefallen, als ihn ein aufgeregtes Raunen und Wispern vor dem Eingang seines Zeltes aufschrecken ließ. Er erhob sich und trat hinaus.
»Was gibt es?« fragte er streng.
»Dieser Bote hier«, antwortete Illuán, der blaue Dschinn, »behauptet, dir eine Nachricht überbringen zu müssen, die so wichtig sei, daß er nicht bis morgen warten dürfe.« Der Bote, den Illuán am Kragen hochgehoben hatte, war ein kleiner Hurtling, ein Wesen, das gewisse Ähnlichkeit mit einem Kaninchen aufwies, nur daß es anstelle eines Fells ein knallbuntes Federkleid hatte. Hurtlinge gehören zu den schnellsten Läufern Phantásiens und können ungeheure Strecken in solcher Geschwindigkeit zurücklegen, daß man sie dabei praktisch nicht sehen, sondern ihr Vorüberzischen nur an einer Spur von aufgewirbelten Staubwölkchen bemerken kann. Eben wegen dieser Fähigkeit war der Hurtling hier zum Boten gemacht worden. Er hatte die ganze Strecke zum Elfenbeinturm und wieder zurück hinter sich und hechelte atemlos, als der Dschinn ihn vor Bastian hinstellte.
»Verzeih mir, Herr«, keuchte er und verbeugte sich ein paarmal tief, »verzeih mir, wenn ich es wage, deine Ruhe zu stören, aber du würdest mit Recht unzufrieden mit mir sein, wenn ich es nicht getan hätte. Die Kindliche Kaiserin ist nicht im Elfenbeinturm, schon seit undenklicher Zeit nicht mehr, und niemand weiß, wo sie weilt.«
Bastian fühlte sich plötzlich leer und kalt im Inneren. »Du mußt dich irren. Das kann nicht sein.«
»Die anderen Boten werden es dir bestätigen, wenn sie nachgekommen sind, Herr.« Bastian schwieg eine Weile, dann sagte er tonlos:
»Danke, es ist gut.«
Er drehte sich um und ging in sein Zelt.
Er setzte sich auf sein Lager und stützte den Kopf in beide Hände. Es
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