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Die unendliche Geschichte

Die unendliche Geschichte

Titel: Die unendliche Geschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Ende
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nichts, um es zu verhindern. Aber mit jeder Wunscherfüllung vergaß der kleine Bub einen Teil seiner Erinnerung an die Welt, aus der er gekommen war. Das machte ihm nicht viel aus, denn er wollte sowieso nicht dorthin zurück. So wünschte er sich weiter und weiter, aber nun hatte er fast alle seine Erinnerungen ausgegeben, und ohne Erinnerungen kann man nichts mehr wünschen. Da war er schon beinahe kein Mensch mehr, sondern fast ein Phantásier geworden. Und seinen Wahren Willen kannte er noch immer nicht. Jetzt bestand die Gefahr, daß er auch noch seine letzten Erinnerungen aufbrauchen würde, ohne dahinter zu kommen. Und das würde bedeuten, daß er nie wieder in seine Welt zurückkehren könnte. Da führte ihn zuletzt sein Weg ins Änderhaus, damit er hier so lange bleiben sollte, bis er seinen Wahren Willen fände. Denn das Änderhaus heißt nicht nur so, weil es sich selbst verändert, sondern weil es auch den ändert, der in ihm wohnt. Und das war sehr wichtig für den kleinen Buben, denn bisher wollte er zwar immer ein anderer sein, als er war, aber er wollte sich nicht ändern.«
    An dieser Stelle unterbrach sie sich, denn ihr Besucher hatte aufgehört zu kauen. Er hielt eine angebissene Frucht in der Hand und starrte die geblümte Frau mit offenem Mund an. »Wenn sie dir nicht schmeckt«, meinte sie besorgt, »dann leg sie ruhig weg und nimm eine andere!«
    »Wie?« stotterte Bastian, »o nein, sie ist sehr gut.«
    »Dann ist ja alles in Ordnung«, sagte die Frau zufrieden. »Aber ich habe vergessen zu sagen, wie der kleine Bub hieß, der im Änderhaus so lange schon erwartet wurde. Viele in Phantasien nannten ihn einfach nur den »Retter«, andere »den Ritter vom Siebenarmigen Leuchter« oder den »Großen Wissenden« oder auch »Herr und Gebieter«, aber sein wirklicher Name war Bastian Balthasar Bux.«
    Danach sah die Frau ihren Gast lange lächelnd an. Er schluckte ein paarmal und sagte dann leise:
    »So heiße ich.«
    »Na, siehst du!« meinte die Frau und schien kein bißchen überrascht.
    Die Knospen auf ihrem Hut und an ihrem Kleid öffneten sich plötzlich alle gleichzeitig und blühten auf.
    »Aber hundert Jahre«, wandte Bastian unsicher ein, »bin ich doch noch gar nicht in Phantasien.«
    »Oh, in Wirklichkeit warten wir schon viel länger auf dich«, antwortete die Dame, »schon meine Großmutter und die Großmutter meiner Großmutter hat auf dich gewartet. Siehst du, jetzt wird dir eine Geschichte erzählt, die neu ist und doch von uralter Vergangenheit berichtet.«
    Bastian erinnerte sich an Graógramáns Worte, damals war er noch am Anfang seiner Reise gestanden. Jetzt schien es ihm wirklich, als wäre es hundert Jahre her.
    »Übrigens habe ich dir bis jetzt noch nicht gesagt, wie ich heiße. Ich bin Dame Aiuóla.« Bastian wiederholte den Namen und hatte ein bißchen Mühe, bis es ihm gelang, ihn richtig auszusprechen. Dann griff er nach einer neuen Frucht. Er biß hinein, und es kam ihm so vor, als ob immer die, die er gerade aß, von allen die köstlichste war. Ein wenig besorgt sah er, daß er schon die vorletzte aß.
    »Möchtest du noch mehr?« fragte Dame Aiuóla, die seinen Blick bemerkt hatte. Bastian nickte. Da griff sie auf ihren Hut und ihr Kleid und pflückte Früchte ab, bis die Schale wieder gefüllt war.
    »Wachsen die Früchte denn auf deinem Hut?« erkundigte sich Bastian verblüfft. »Wieso Hut?« Dame Aiuóla blickte ihn verständnislos an. Dann brach sie in lautes, herzliches Lachen aus. »Ach, du meinst wohl, das ist mein Hut, was ich da auf dem Kopf habe? Aber nein, mein schöner Bub, das wächst doch alles aus mir heraus. So wie du Haare hast. Daran kannst du sehen, wie ich mich freue, daß du endlich da bist, darum blühe ich auf. Wenn ich traurig wäre, würde alles verwelken. Aber bitte, vergiß nicht zu essen!«
    »Ich weiß nicht«, meinte Bastian verlegen, »man kann doch nicht etwas essen, was aus jemand herauskommt.«
    »Warum nicht?« fragte Dame Aiuóla, »kleine Kinder bekommen doch auch die Milch von ihrer Mutter. Das ist doch wunderschön.«
    »Schon«, wandte Bastian ein und errötete ein wenig, »aber doch nur, solange sie noch ganz klein sind.«
    »Dann«, sagte Dame Aiuóla strahlend, »wirst du eben jetzt wieder ganz klein werden, mein schöner Bub.«
    Bastian griff zu und biß in eine neue Frucht, und Dame Aiuóla freute sich darüber und blühte noch prächtiger auf.Nach einer kleinen Stille meinte sie:
    »Mir scheint, es möchte gern, daß

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