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Die unendliche Geschichte

Die unendliche Geschichte

Titel: Die unendliche Geschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Ende
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zeichnen. Es ist dort niemals mit Sicherheit vorauszusehen, welches Land an welches andere angrenzt. Sogar die Himmelsrichtungen wechseln je nach der Gegend, in der man sich gerade befindet. Sommer und Winter, Tag und Nacht folgen in jeder Landschaft anderen Gesetzen. Man kann aus einer sonnendurchglühten Wüste kommen und gleich daneben in arktische Schneefelder geraten. In dieser Welt gibt es keine meßbare äußere Entfernung, und so haben die Worte »nah« oder »weit« eine andere Bedeutung. Alle diese Dinge hängen ab vom Seelenzustand und vom Willen dessen, der einen bestimmtenWeg zurücklegt. Da Phantasien grenzenlos ist, kann sein Mittelpunkt überall sein oder besser gesagt, er ist von überall her gleich nah oder fern. Es hängt ganz von demjenigen ab, der zum Mittelpunkt kommen will. Und dieses innerste Zentrum Phantâsiens ist eben der Elfenbeinturm.
    Atréju fand sich zu seiner Verwunderung auf dem Rücken des Glücksdrachen sitzend, ohne sich erinnern zu können, wie er dort hinaufgelangt war. Er wußte nur noch, daß Fuchur ihn am Haarschopf in die Höhe gerissen hatte. Als er seinen Mantel, der hinter ihm drein flatterte, fröstelnd um sich zog, bemerkte er, daß dieser alle Farbe verloren hatte und grau geworden war. Ebenso war es mit seiner Haut und seinem Haar. Und nun sah er im zunehmenden Licht des Morgens, daß es sich auch mit Fuchur nicht anders verhielt. Der Drache glich nur noch einem grauen Nebelstreifen und war schon fast ebenso unwirklich. Sie beide waren dem Nichts zu nahe gekommen.
    »Atréju, mein kleiner Herr«, hörte er den Drachen leise sagen, »schmerzt deine Wunde sehr?« »Nein«, antwortete Atréju, »ich fühle nichts mehr.«
    »Hast du Fieber?«
    »Nein, Fuchur, ich glaube nicht. Warum fragst du?«
    »Ich habe gespürt, daß du zitterst«, erwiderte der Drache, »was auf der Welt kann Atréju jetzt noch zittern machen?«
    Atréju schwieg eine Weile, ehe er antwortete:
    »Wir werden bald angelangt sein. Dann muß ich der Kindlichen Kaiserin sagen, daß es keine Rettung mehr gibt. Von allem, was ich tun mußte, ist dies das Schwerste.«
    »Ja«, sagte Fuchur noch leiser, »das ist wahr.«
    Schweigend flogen sie weiter, immer auf den Elfenbeinturm zu.
    Nach einer Weile begann der Drache von neuem:
    »Hast du sie je gesehen, Atréju?«
    »Wen?«
    »Die Kindliche Kaiserin - oder vielmehr die Goldäugige Gebieterin der Wünsche. Denn so mußt du sie anreden, wenn du vor ihr stehst.«
    »Nein, ich habe sie nie gesehen.«
    »Ich schon. Es ist sehr lange her. Dein Urgroßvater muß damals ein kleines Kind gewesen sein. Auch ich war noch ein junger Spring-in-die-Wolken, der nichts als Unsinn im Kopf hatte. Eines Nachts hatte ich versucht, mir den Mond vom Himmel zu holen, der groß und rund dort oben leuchtete. Wie gesagt, ich hatte noch von nichts eine Ahnung. Als ich mich schließlich enttäuscht zur Erde zurückfallen ließ, kam ich dem Elfenbeinturm ganz nahe. Der Magnolienpavillon hatte in dieser Nacht seine Blütenblätter weit geöffnet, und in deren Mitte sah ich die Kindliche Kaiserin sitzen. Sie warf mir einen Blick zu, nur einen einzigen kurzen Blick, aber - ich weiß nicht, wie ich es dir sagen soll - von dieser Nacht an bin ich ein anderer geworden.«
    »Wie sieht sie aus?«
    »Wie ein kleines Mädchen. Aber sie ist viel älter als die ältesten Wesen Phantâsiens. Besser sollte ich sagen: Sie ist ohne Alter.«
    »Aber sie ist sterbenskrank«, meinte Atréju, »soll ich sie behutsam auf das Ende aller Hoffnung vorbereiten?«
    Fuchur schüttelte den Kopf.
    »Nein, sie würde jeden Versuch der Beschwichtigung sofort durchschauen. Du mußt ihr die Wahrheit sagen.«
    »Auch wenn sie daran stirbt?« fragte Atréju.
    »Ich glaube nicht, daß es so kommt«, sagte Fuchur.
    »Ich weiß«, antwortete Atréju, »du bist ein Glücksdrache.«
    Und dann flogen sie wieder lange Zeit schweigend weiter.
    Schließlich redeten sie noch ein drittes Mal miteinander. Diesmal war es Atréju, der die Stille unterbrach:
    »Noch etwas möchte ich dich fragen, Fuchur.«
    »Frage!«
    »Wer ist sie?«
    »Wie meinst du das?«
    »AURYN hat Macht über alle Wesen Phantâsiens, gleich ob sie Geschöpfe des Lichts oder der Finsternis sind. Es hat auch Macht über dich und mich. Und doch übt die Kindliche Kaiserin niemals Macht aus. Es ist, als wäre sie nicht da, und doch ist sie in allem. Ist sie wie wir?«
    »Nein«, sagte Fuchur, »sie ist nicht, was wir sind. Sie ist kein Geschöpf Phantâsiens. Wir

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