Die unendliche Geschichte
aber die deine geht weiter ohne Ende, als Lüge.«
»Warum bist du so böse?« fragte Atréju.
»Ihr hattet eine Welt«, antwortete Gmork dunkel, »und ich nicht.«
»Was war dein Auftrag?«
Gmork, der bisher noch immer aufrecht gesessen hatte, glitt zu Boden. Seine Kräfte gingen sichtlich zu Ende. Seine rauhe Stimme klang nur noch wie ein Keuchen.
»Diejenigen, denen ich diene, und die die Vernichtung Phantasiens beschlossen haben, sahen Gefahr für ihren Plan. - Sie hatten erfahren, daß die Kindliche Kaiserin einen Boten ausgesandt hatte, einen großen Helden -, und es sah so aus, als ob er es doch noch schaffen würde, ein Menschenkind nach Phantasien zu rufen. - Es war unbedingt nötig, ihn rechtzeitig umzubringen. - Dazu schickten sie mich aus, da ich viel in Phantasien herumgekommen war. Ich fand auch gleich seine Spur -folgte ihm Tag und Nacht - holte ihn langsam ein - durch das Land der Sassafranier - den Urwaldtempel von Muamat - den Haulewald - die Sümpfe der Traurigkeit - die Toten Berge - aber dann, am Tiefen Abgrund bei Ygramuls Netz - habe ich seine Spur verloren - als hätte er sich in Luft aufgelöst. - Also suchte ich weiter, irgendwo mußte er ja sein -hab’ aber seine Spur nicht mehr gefunden. - So bin ich zuletzt hierhergeraten. - Ich hab’s nicht geschafft. - Aber er auch nicht, denn Phantasien geht unter! Sein Name war übrigens Atréju.«
Gmork hob den Kopf. Der Junge war einen Schritt zurückgetreten und hatte sich hoch aufgerichtet.
»Ich bin es«, sagte er, »ich bin Atréju.«
Ein Zucken lief durch den abgemagerten Leib des Werwolf s. Es wiederholte sich und wurde stärker und stärker. Dann kam ein Geräusch aus seiner Kehle, das wie keuchendes Husten klang, es wurde immer lauter und rasselnder und steigerte sich zu einem Brüllen, das von allen Hauswänden zurückschallte. Der Werwolf lachte!
Es war das entsetzlichste Geräusch, das Atréju jemals gehört hatte, und nie wieder hörte er etwas Ähnliches.
Dann war es plötzlich zu Ende. Gmork war tot.
Atréju stand lange reglos. Schließlich näherte er sich dem toten Werwolf - er wußte selbst nicht, warum - beugte sich über dessen Kopf und berührte mit der Hand das struppige, schwarze Fell. Und im gleichen Augenblick, schneller als jeder Gedanke, hatten Gmorks Zähne zugeschnappt und sich in Atréjus Bein festgebissen. Noch über den Tod hinaus war das Böse in ihm mächtig.
Verzweifelt versuchte Atréju das Gebiß aufzubrechen. Es war vergebens. Wie mit stählernen Schrauben festgehalten, saßen die riesigen Zähne in seinem Fleisch. Atréju sank neben dem Leichnam des Werwolf s auf den schmutzigen Boden nieder.
Und Schritt für Schritt, unaufhaltsam und lautlos, drang das Nichts von allen Seiten durch die schwarze hohe Mauer, die die Stadt umgab.
Jener Augenblick, in dem Atréju durch das düstere Stadttor von Spukstadt getreten war und seine Wanderung durch die krummen Gassen begonnen hatte, die dann so verhängnisvoll in jenem schmutzigen Hinterhof enden sollte, hatte dem weißen Glücksdrachen Fuchur eine höchst erstaunliche Entdeckung beschert.
Immer noch auf der unermüdlichen Suche nach seinem kleinen Herren und Freund war er sehr hoch in die Wolken und Nebelfetzen des Himmels hinaufgestiegen und hielt Umschau. Nach allen Seiten hin dehnte sich das Meer, das sich nur langsam beruhigte nach dem gewaltigen Sturm, der es aufgewühlt hatte bis zum Grund. Und plötzlich sah Fuchur in weiter Ferne etwas, das er sich nicht erklären konnte. Es war wie ein goldener Lichtstrahl, der in gleichmäßigen Abständen aufblinkte und wieder erlosch, aufblinkte und wieder erlosch. Und dieser Lichtstrahl schien genau auf ihn, Fuchur, gerichtet zu sein. So schnell er konnte näherte er sich der Stelle, und als er schließlich über ihr schwebte, mußte er feststellen, daß dieses Blinkzeichen aus den Tiefen des Wassers, vielleicht gar vom Meeresgrund ausging. Glücksdrachen - das wurde ja schon früher gesagt - sind Geschöpfe aus Luft und Feuer. Das nasse Element ist ihnen nicht nur fremd, sondern auch durchaus gefährlich. Sie können im Wasser regelrecht erlöschen wie eine Flamme - falls sie nicht vorher schon ersticken, denn sie atmen ununterbrochen Luft mit ihrem ganzen Körper durch ihre hunderttausend perlmutterfarbenen Schuppen. Sie ernähren sich auch gleichzeitig von Luft und Wärme, und andere Nahrung ist ihnen nicht vonnöten, aber ohne Luft und Wärme können sie nur sehr kurze Zeit leben.
Fuchur wußte
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