Die unendliche Geschichte
sein Herz strömte und es vollkommen ausfüllte.
Dann hörte er wieder dieses tiefe Grollen, von dem der Wüstenboden erzitterte, aber diesmal aus nächster Nähe. Er blickte empor.
Auf dem Gipfel der feuerroten Düne stand ein riesenhafter Löwe. Er stand genau vor der Sonne, so daß seine gewaltige Mähne das Löwengesicht wie ein Flammenkranz umloderte. Aber diese Mähne und auch das übrige Fejl war nicht gelb, wie es sonst bei Löwen der Fall ist, sondern ebenso feuerrot wie der Sand, auf dem er stand.
Der Löwe schien den Knaben, der im Vergleich zu ihm winzig im Tal zwischen den beiden Dünen stand, nicht bemerkt zu haben, vielmehr schaute er auf die roten Buchstaben, die den gegenüberliegenden Hügelhang bedeckten. Und dann ließ er wieder diese gewaltige, grollende Stimme vernehmen:
»Wer hat das getan?«
»Ich«, sagte Bastian.
»Und was heißt das?«
»Es ist mein Name«, antwortete Bastian, »ich heiße Bastian Balthasar Bux.« Nun erst wandte der Löwe ihm seinen Blick zu und Bastian hatte das Gefühl, als ob ihn ein Flammenmantel einhüllte, in dem er auf der Stelle zu Asche verbrennen würde. Doch diese Empfindung war sogleich vorüber, er hielt dem Blick des Löwen stand.
»Ich«, sagte das gewaltige Tier, »bin Graogramán, der Herr der Farbenwüste, den man auch den Bunten Tod nennt.«
Noch immer sahen sie sich gegenseitig an und Bastian fühlte die tödliche Gewalt, die von diesen Augen ausging.
Es war wie ein unsichtbares Kräftemessen. Und schließlich senkte der Löwe den Blick. Mit langsamen, majestätischen Bewegungen kam er von der Düne herab. Als er auf den ultramarinblauen Sand trat, wechselte auch seine Farbe, so daß Fell und Mähne nun ebenfalls blau waren. Das riesenhafte Tier blieb einen Augenblick vor Bastian stehen, der zu ihm aufschauen mußte wie die Maus zu einer Katze, dann plötzlich legte Graogramán sich nieder und senkte das Haupt vor dem Knaben bis zum Boden.
»Herr«, sagte er, »ich bin dein Diener und harre deiner Befehle!«
»Ich möchte aus dieser Wüste hinaus«, erklärte Bastian, »kannst du mich hinausbringen?« Graogramán schüttelte die Mähne.
»Das, Herr, ist für mich unmöglich.«
»Warum?«
»Weil ich die Wüste mit mir trage.«
Bastian konnte nicht verstehen, was der Löwe damit meinte.
»Gibt es kein anderes Geschöpf«, fragte er darum, »das mich von hier fortbringen könnte?« »Wie sollte das möglich sein, Herr«, antwortete Graogramán, »dort wo ich bin, kann weit und breit kein lebendes Wesen sein. Mein Dasein allein genügt, selbst die gewaltigsten und furchtbarsten Wesen auf tausend Meilen im Umkreis zu einem Häuflein Asche verbrennen zu lassen. Darum nennt man mich den Bunten Tod und den König der Farbenwüste.« »Du irrst dich«, sagte Bastian, »nicht jedes Wesen verbrennt in deinem Reich. Ich zum Beispiel halte dir stand wie du siehst.«
»Weil du den Glanz trägst, Herr. AURYN schützt dich - sogar vor dem Tödlichen aller Wesen Phantásiens, vor mir.«
»Willst du damit sagen, wenn ich das Kleinod nicht hätte, müßte auch ich zu einem Häuflein Asche verbrennen?«
»So ist es, Herr, und es würde geschehen, auch wenn ich selbst es beklagen müßte. Denn du bist der erste und einzige, der je mit mir geredet hat.«
Bastian griff nach dem Zeichen. »Danke, Mondenkind!« sagte er leise.
Graograman richtete sich wieder zu seiner vollen Höhe auf und blickte auf Bastian nieder. »Ich glaube, Herr, wir haben uns manches zu sagen. Vielleicht kann ich dir Geheimnisse enthüllen, die du nicht kennst. Vielleicht kannst auch du mir das Rätsel meines Daseins erklären, das mir verborgen ist.«
Bastian nickte.
»Wenn es möglich ist, möchte ich nur bitte gern zuerst etwas trinken. Ich bin sehr durstig.« »Dein Diener hört und gehorcht«, antwortete Graograman, »willst du geruhen, Herr, dich auf meinen Rücken zu setzen? Ich werde dich in meinen Palast tragen, wo du alles finden wirst, dessen du bedarfst.«
Bastian schwang sich auf den Rücken des Löwen. Er hielt sich mit beiden Händen in der Mähne fest, deren einzelne Locken loderten wie Stichflammen. Graograman wandte den Kopf nach ihm.
»Halte dich gut fest, Herr, denn ich bin ein schneller Läufer. Und noch eines will ich dich bitten, Herr: Solang du in meinem Reich bist oder gar mit mir zusammen - versprich mir, daß du aus keinem Grund und auch nicht für den kleinsten Augenblick das schützende Kleinod ablegst!«
»Ich verspreche es dir«, sagte
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