Die unendliche Geschichte
Bastian, »ich bin sogar dafür ausgelacht worden.«
Silbergreis Quérquobad zog erstaunt die Augenbrauen hoch.
»Ausgelacht dafür, daß du Geschichten erzählen kannst, die noch nie jemand gehört hat? Wie ist das möglich! Von uns ist keiner dazu in der Lage, und wir alle, ich und meine Mitbürger, wären dir unaussprechlich dankbar, wenn du uns einige neue Geschichten schenken wolltest. Wirst du uns mit deinem Genie helfen?«
»Mit Vergnügen!« antwortete Bastian.
Nach dem Frühstück gingen sie auf die Treppe von Quérquobads Palast hinaus, wo Fuchur sie schon erwartete.
Auf dem Platz hatte sich inzwischen eine große Menge versammelt, diesmal aber waren nur noch wenige der Gäste darunter, die zu den Kampfspielen in die Stadt gekommen waren. In der Hauptsache bestand sie aus Amargànthern, Männern, Frauen und Kindern, alle Wohlgestalt und blauäugig und alle in der schmucken Silbertracht. Die meisten hatten silberne Saiteninstrumente bei sich, Harfen, Leiern, Gitarren oder Lauten, auf denen sie ihren Vortrag begleiten wollten, denn jeder von ihnen hoffte darauf, seine Kunst vor Bastian und Atréju produzieren zu dürfen.
Wieder waren Sessel aufgestellt worden, Bastian nahm in der Mitte zwischen Quérquobad und Atréju Platz. Fuchur postierte sich hinter ihnen.
Dann klatschte Quérquobad in die Hände und sagte in die Stille, die sich ausbreitete: »Der große Dichter will unseren Wunsch erfüllen. Er wird uns neue Geschichten schenken. Darum gebt euer Bestes, Freunde, um ihn in Stimmung zu bringen!«
Alle Amargánther auf dem Platz verneigten sich tief und schweigend. Dann trat der erste vor und begann zu rezitieren. Nach ihm kamen andere und immer wieder andere. Alle hatten schöne, klangvolle Stimmen und machten ihre Sache sehr gut.
Die Geschichten, Gedichte und Lieder, die sie vortrugen, waren je nachdem spannend, heiter oder auch traurig, aber sie würden hier zu viel Raum beanspruchen. Sie sollen ein andermal erzählt werden. Insgesamt waren es nur etwa hundert verschiedene Stücke. Danach fingen sie an sich zu wiederholen. Die neu vortretenden Amargánther konnten nichts anderes vortragen, als was ihre Vorgänger schon zu Gehör gebracht hatten.
Trotzdem wurde Bastian immer aufgeregter, denn er wartete auf den Augenblick, wo er selbst drankommen würde. Sein Wunsch von gestern abend war haargenau in Erfüllung gegangen. Er konnte es kaum noch aushaken vor Erwartung, daß auch alles andere sich erfüllen würde. Er schaute Atréju von der Seite an, doch der saß mit unbeweglicher Miene da und hörte zu. Ihm war keine Gemütsbewegung anzumerken.
Schließlich gebot Silbergreis Quérquobad seinen Mitbürgern Einhalt. Er wandte sich seufzend zu Bastian und sprach:
»Ich habe dir gesagt, Bastian Balthasar Bux, daß unser Vorrat leider sehr klein ist. Es ist nicht unsere Schuld, daß es nicht mehr Geschichten gibt. Wie du siehst, tun wir, was wir können. Wirst du uns nun eine der deinen schenken?
»Ich werde euch alle Geschichten schenken, die ich erfunden habe«, sagte Bastian großzügig, »denn ich kann mir ja jede Menge neue ausdenken. Viele davon habe ich einem kleinen Mädchen namens Kris Ta erzählt, aber die meisten nur mir selbst. Es kennt sie also noch niemand sonst. Aber es würde Wochen und Monate dauern, jede einzeln zu erzählen, und so lang können wir nicht bei euch bleiben. Deshalb will ich euch eine Geschichte erzählen, in der alle anderen enthalten sind. Sie heißt >Die Geschichte der Bibliothek von Amarganth< und ist ganz kurz.« Er überlegte ein wenig und begann aufs Geratewohl:
»In grauer Vorzeit lebte in Amargánth eine Silbergreisin mit Namen Quana, die über die Stadt herrschte. In jenen längst vergangenen Tagen gab es weder den Tränensee Murhu, noch war Amargánth aus dem besonderen Silber, das den Wassern widersteht. Es war noch eine ganz gewöhnliche Stadt mit Häusern aus Stein und Holz. Und sie lag in einem Tal zwischen bewaldeten Hügeln.
Quana hatte einen Sohn namens Quin, der ein großer Jäger war. Eines Tages erblickte Quin in den Wäldern ein Einhorn, das einen leuchtenden Stein auf der Spitze seines Horns trug. Er tötete das Tier und nahm den Stein mit nach Hause. Doch damit hatte er großes Unheil über die Stadt Amargánth gebracht. Die Einwohner bekamen immer weniger und weniger Kinder. Wenn sie keine Rettung fanden, dann waren sie zum Aussterben verurteilt. Aber das Einhorn war ja nicht wieder zum Leben zu erwecken, und niemand wußte Rat.
Da
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