Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die unendliche Geschichte

Die unendliche Geschichte

Titel: Die unendliche Geschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Ende
Vom Netzwerk:
schickte die Silbergreisin Quana einen Boten zum Südlichen Orakel, das damals noch bestand, damit er von der Uyulála gesagt bekäme, was man tun solle. Aber das Südliche Orakel war sehr weit fort. Der Bote war als junger Mann aufgebrochen, und als er zurückkam, war er hochbetagt. Die Silbergreisin Quana war längst gestorben, und ihr Sohn Quin war inzwischen an ihre Stelle getreten. Auch er war natürlich schon uralt, ebenso alle anderen Amargánther. Es gab nur noch ein einziges Kinderpaar, einen Jungen und ein Mädchen. Er hieß Aquil und sie Muqua.
    Nun verkündete der Bote, was die Stimme der Uyulála ihm offenbart hatte: Amargánth würde nur dann weiterbestehen können, wenn es zur schönsten Stadt Phantâsiens gemacht würde. Nur auf diese Weise sei Quins Frevel wieder gutzumachen. Doch könnten die Amargánther das nur mit der Hilfe der Acharai bewirken, die die häßlichsten Wesen Phantásiens sind. Sie werden auch die >Immer-Weinenden< genannt, weil sie vor Kummer über ihre eigene Häßlichkeit ununterbrochen Tränen vergießen. Gerade mit diesen Tränenströmen waschen sie aber jenes besondere Silber aus den Tiefen der Erde und verstehen es, daraus das wunderbarste Filigran zu machen.
    Nun gingen also alle Amargánther auf die Suche nach den Acharai, doch gelang es keinem, sie zu finden, da diese tief unter der Erde leben. Schließlich waren nur noch Aquil und Muqua übrig. Alle anderen waren weggestorben, und die beiden waren inzwischen erwachsen. Und diesen beiden gemeinsam gelang es, die Acharai zu finden und dazu zu überreden, aus Amargánth die schönste Stadt zu machen.
    So bauten die Acharai erst einen Silberkahn und darauf einen kleinen Filigranpalast und stellten ihn auf den Marktplatz der ausgestorbenen Stadt. Dann leiteten sie ihren Tränenstrom unterirdisch so, daß er als Quelle in dem Tal zwischen den bewaldeten Hügeln ans Tageslicht trat. Das Tal füllte sich mit den bitteren Wassern und wurde der Tränensee Murhu, auf dem der erste Silberpalast schwamm. Darin wohnten Aquil und Muqua.
    Die Acharai hatten aber eine Bedingung an das junge Paar gestellt unddie war, daß sie und alle ihre Nachkommen sich dem Liedersingen und dem Geschichtenerzählen widmen sollten. Und solange sie das täten, wollten die Acharai ihnen helfen, weil sie auf diese Weise auch daran beteiligt wären und ihre Häßlichkeit zu etwas Schönem beitrüge.
    So gründeten Aquil und Muqua eine Bibliothek - eben die berühmte Bibliothek von Amarganth - in der sie alle meine Geschichten sammelten. Sie fingen mit dieser hier an, die ihr eben gehört habt, aber nach und nach kamen alle anderen dazu, die ich je erzählt habe, und so wurden es schließlich so viele, daß weder die beiden noch ihre zahlreichen Nachkommen, die heute die Silberstadt bevölkern, je damit zu Ende kommen werden.
    Daß Amarganth, die schönste Stadt Phantásiens, auch heute noch besteht, kommt daher, daß die Acharai und die Amarganther gegenseitig ihr Versprechen gehalten haben - obwohl sie beide nichts mehr voneinander wissen. Nur der Name des Tränensees Murhu erinnert noch an jene Begebenheit aus grauer Vorzeit.«
    Nachdem Bastian geendet hatte, erhob sich Silbergreis Quérquobad langsam von seinem Sessel. Sein Gesicht zeigte ein verklärtes Lächeln.
    »Bastian Balthasar Bux«, sprach er, »du hast uns mehr geschenkt als eine Geschichte und mehr als alle Geschichten. Du hast uns unsere eigene Herkunft geschenkt. Nun wissen wir, woher Murhu kommt und unsere silbernen Schiffe und Paläste, die der See trägt. Nun wissen wir, warum wir seit alters her ein Volk von Liedersängern und Geschichtenerzählern sind. Und vor allem wissen wir nun, was jenes große, runde Bauwerk in unserer Stadt enthält, das noch niemals einer von uns betreten hat, weil es seit Urzeiten verschlossen ist. Es enthält unseren größten Schatz, und wir wußten es bisher nicht. Es enthält die Bibliothek von Amarganth!«
    Bastian war selbst überwältigt davon, daß alles, was er eben erzählt hatte, Wirklichkeit geworden war (oder schon immer gewesen war? Graógráman hätte wahrscheinlich gesagt: beides!). Jedenfalls wollte er sich mit eigenen Augen davon überzeugen.
    »Wo ist denn dieses Gebäude?« fragte er.
    »Ich will es dir zeigen«, sagte Quérquobad und zu der Menge gewendet, rief er: »Kommt alle mit! Vielleicht werden uns heute noch mehr Wunder zuteil!«
    Ein langer Zug, an dessen Spitze der Silbergreis neben Atréju und Bastian ging, bewegte sich über die

Weitere Kostenlose Bücher