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Die Unermesslichkeit

Die Unermesslichkeit

Titel: Die Unermesslichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Vann
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irgendeinem Grund.
    Irene wachte orientierungslos auf. Sie hob den Kopf, um die Uhr zu erkennen, schon nach zwei, und diese Bewegung drückte ihr auf die Stirn, ein pulsierender Schmerz.
    Gary, rief sie, mit rauem Hals. Sie hatte Hunger und Durst und wollte, dass Gary ihr half, sich um sie kümmerte. In dieser Situation sollte man nicht allein sein. Der Schmerz hinter ihrem Auge so stark, dass sie ihm entkommen musste, panisch wurde.
    Gary, rief sie wieder, aber keine Antwort, kein Laut im Haus. Er hatte sie hier zurückgelassen, war mit dem Boot rausgefahren, ganz sicher, hielt sich ans Projekt, an den Plan.
    Gary, brüllte sie wütend. Du Scheißkerl.
    Sie drückte auf beide Augen, in die Höhlen, drückte die Stirn, ihren Nacken. Ein lebendiger Schmerz, der in ihrem Kopf wühlte.
    Langsam schlug sie die Decken zurück, wollte sich nicht zu ruckartig bewegen, setzte sich auf die Bettkante, benommen. Wartete, bis sie das Gefühl hatte, nicht zu fallen, ging dann langsam am Bett entlang, den Flur hinunter ins Bad, nahm die offene Dose Advil, vier Tabletten, dann vier Aspirin, dann NyQuil. Sie wollte weggetreten sein. Wollte nichts spüren. Ihr war egal, was es auf lange Sicht mit ihr anstellte. Nur das Jetzt zählte.
    Sie ging zurück ins Bett, rollte sich unter den Decken auf die Seite und wimmerte. Wie ein Hund, sagte sie laut.
    Die Tabletten wirkten, und obwohl sie den Schmerz nicht linderten, machten sie sie benommen, und schließlich schlief sie ein.
    Irene wachte wieder auf nach einem Traum voller Druck und Panik und rief wieder nach Gary, aber immer noch keine Antwort. Die Uhr zeigte fast halb sechs.
    Sie stand auf und ging langsam in die Küche. Konnte nur durch den Mund atmen, und Schlucken tat weh. Aber sie kam um vor Hunger.
    Sie entschied sich für Joghurt. Das ging schnell und schonte den Hals. Schluckte vorsichtig, aß eine ganze Schüssel, cremige kühle Vanille, dann hörte sie Rhodas Schrottkarre vorfahren. Gott sei Dank, sagte sie. Sie war jetzt reif für Beistand.
    Rhoda kam zügig herein, noch in der hellblauen OP-Kleidung von Dr. Turin. Mom, sagte sie. Du siehst furchtbar aus. Sie setzte sich rittlings auf die Sitzbank, rutschte zu Irene vor und legte ihr die Lippen auf die Stirn. Fieber hast du keins.
    Nein. Der Schmerz ist hinter den Augen, vor allem dem rechten.
    Was das ist, weiß ich nicht, sagte Rhoda.
    Dein Vater hat mich den ganzen Tag alleingelassen.
    Was?
    Hat ein Mal nach mir gesehen und ist dann verschwunden.
    Aber er weiß, dass du krank bist.
    Und ob.
    Hat er versucht zu helfen? Hat er gefragt, ob du was brauchst?
    Irene dachte kurz nach. Er hat gefragt, ob er mich zum Arzt fahren soll und ob ich was zu Mittag essen will.
    Also hat er sich bemüht, Mom.
    Das ist sechs Stunden her. Über sechs Stunden.
    Na, jetzt bin ich ja hier, und Frank Bishop kommt. Er wird jede Minute hier sein. Ich habe auch Tabletten mitgebracht, falls er keine dabei hat.
    Die nehme ich jetzt, sagte Irene.
    Tut mir leid, Mom. Wir müssen warten.
    Irene seufzte. Gesundheit und Krankheit, sagte sie. In Gesundheit und Krankheit. Und wenn mir was passiert, läuft dein Vater weg.
    Er liebt dich, Mom. Es geht dir nicht gut, darum bist du jetzt ungerecht.
    So ist er. Er kann sich nur um sich selbst kümmern.
    Leg dich doch wieder hin, Mom.
    Sie gingen zurück ins Schlafzimmer, und Rhoda deckte Irene zu, dann fuhr ein Wagen vor.
    Das muss Bishop sein, sagte Rhoda.
    Irene wartete im Bett, in Schmerz gefangen, und wollte nur, dass er wegging. Frank Bishop kam mit einem munteren Hallo herein. Wie steht’s, Irene. Was haben wir denn angestellt?
    Du bist erst dreißig Jahre alt, Frank. Sei nicht so herablassend zu mir.
    Okay, sagte er mit einem Augenrollen in Rhodas Richtung.
    Lass das, sagte Irene.
    Also sagte er nichts mehr. Er wühlte in seiner Tasche, setzte sich auf einen Stuhl, den Rhoda ans Bett gestellt hatte, holte ein Thermometer heraus und steckte es Irene in den Mund. Dann nahm er ihren Puls.
    Alle drei warteten eine Minute schweigend auf das Thermometer, und schließlich zog er es heraus. Kein Fieber, sagte er.
    Genau, sagte Rhoda. Sie fühlt sich nicht heiß an.
    Was hast du denn für Beschwerden, Irene?, fragte er.
    Furchtbare Schmerzen hinter meinem rechten Auge, kreiselnd. Der ganze Kopf und der Nacken tun weh, aber der Schmerz hinter meinem Auge ist unglaublich. Aspirin und Advil wirken überhaupt nicht. Ich brauche was Stärkeres. Und mein Hals tut weh, meine Nase ist total verstopft. Ich fühle mich

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