Die Unermesslichkeit
natürlich nicht. Ich weiß nicht, was ich gedacht habe.
Ist es wegen Rhoda? Kommt sie heute Abend noch?
Ja.
Du wohnst hier gar nicht allein, stimmt’s?
Stimmt.
Und Rhoda will dich heiraten, stimmt’s?
Jims Erektion war erschlafft. Er schloss die Augen und massierte sich die Schläfen.
Jim, sagte Monique. Das ist schlecht geplant, findest du nicht?
Jim stöhnte kurz und versuchte nachzudenken, ohne zu denken.
Hör zu, sagte Monique. Ein nettes Hotel würde mir reichen. Ich will nicht, dass du mit Rhoda Ärger kriegst.
Ehrlich?, fragte Jim, wieder aufgerichtet. Du bist die Beste.
Kein Problem.
Also fuhr Jim sie zum King Salmon Hotel, wo hoffentlich keiner, den er kannte, Dienst hatte. Nachdem sie am Empfang gewartet und geklingelt hatten, kam jedoch eine seiner Patientinnen lächelnd heraus und sagte: Hallo, Dr. Fenn.
Jim sah rasch auf ihr Namensschild.
Hi, Sarah, sagte er.
Was kann ich für Sie tun? Sie lächelte auch Monique an.
Das hier ist meine Nichte Monique, sagte Jim. Sie ist eine Weile zu Besuch, aber unser Haus wird gerade renoviert, also dachte ich, quartieren wir sie vorübergehendhier ein, bis die Segeltücher und der Farbgeruch und alles verschwunden sind, nicht wahr. Er zog die Nase kraus ob des Farbgeruchs, und Sarah krauste zurück.
Monique lachte, als sie im Zimmer waren. Danke, Onkel.
Nenn mich nicht Onkel, sagte Jim.
Dann gab sie ihm einen langen Kuss und schob ihn aus der Tür.
Während ihre Mutter zu schlafen versuchte, sah sich Rhoda in der Küche nach Anregungen fürs Abendessen um. Baked Beans aus der Dose, Mais aus der Dose, Instant-Kartoffelpüree. Das wäre ziemlich einfach. Sie setzte den Kessel für die Kartoffeln auf, schob den Mais in die Mikrowelle, füllte die Bohnen in einen Topf, und als der Kessel kochte, fuhr ihr Vater in seinem klapprigen alten F-150 vor. Keiner in der Familie fuhr ein ansehnliches Vehikel.
Ihr Vater ging aufs Haus zu, blieb auf halbem Weg stehen und blickte sich um. Die Bäume, der Berg, Geweihe am Dach, die Beete. Das machte er immer. Ihr ganzes Leben schon, seit sie denken konnte. Sie wusste nicht, wozu.
Hey Dad, sagte sie, als er schließlich reinkam. Schöne Bäume?
Was?
Du bleibst immer stehen und siehst dich um, bevor du irgendwo reinkommst, egal ob es das Haus ist oder ein Boot oder ein Pickup. Wozu?
Was?, fragte er. Keine Ahnung.
Mom ist sauer auf dich.
Was?
Weil du sie den ganzen Tag alleingelassen hast. Sie hat eine Mordswut.
Ich habe sie gefragt, ob ich sie zum Arzt fahren soll, sagte er.
Ich weiß, sagte Rhoda.
Das weißt du?
Sie hat es mir gesagt. Ich habe dich in Schutz genommen. Und einen Arzt gerufen, Bishop. Er sagte, sie hat Nebenhöhlenentzündung und muss morgen früh zum Röntgen kommen.
Okay, sagte ihr Vater.
Okay? Ich mach mir Sorgen um sie, Dad. Sie wirkt richtig krank. Der Schmerz macht sie wahnsinnig.
Hm, sagte er. Dann ging er den Flur hinunter und öffnete sachte die Tür zum Schlafzimmer. Er hörte Irenes Atem, rasselnd durch den zugeschwollenen Hals. Sachte schloss er die Tür und ging im Dunkeln ums Bett herum, legte sich neben Irene und legte einen Arm um sie.
Mm, sagte sie und drückte sich an ihn, so leicht und selbstverständlich. Er machte die Augen zu, wollte ihn nicht verlieren, einen solchen Augenblick, wie er zwischen ihnen immer seltener wurde. Geborgenheit, sie beide, die einander brauchten. Warum war das nicht genug?
Er hatte sich instinktiv zu Irene hingezogen gefühlt. Das war in Berkeley, wo er Mediävistik studierte, aber er verlor den Anschluss, und das wusste er. Konnte mit den anderen nicht mithalten. Die Primärtextebewältigte er, aber an der Sekundärliteratur haperte es, den langen Historien und Registern, den Almanachs und Tagebüchern, allesamt auf Mittelenglisch. Religiöse Abhandlungen auf Mittelenglisch, Altenglisch und Latein. Dann die ganze Literaturkritik, immer auf dem Laufenden bleiben mit den neuesten Büchern und Artikeln. Das war zu viel. Und er konnte weder Französisch noch Altfranzösisch, ein großes Problem.
Ein Studienfreund stellte ihm bei einem Gemeinschaftsessen in einem billigen Lokal Irene vor. Sie hatte damals lange blonde Haare, blaue Augen. Sie sah aus wie aus einer Islandsaga. Sie redete keinen Fachjargon. Eine Vorschullehrerin, noch in der Ausbildung, aber nicht einschüchternd. Endlich hatte er das Gefühl, atmen zu können. Bei ihr war er sicher.
Gary hielt Irene fest und versuchte sich an die Zeit zu erinnern, da sie vierundzwanzig
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