Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins
keine Antwort gibt. Eine Frage, auf die es keine Antwort gibt, ist eine Barriere, über die man nicht hinausgehen kann.
Anders ausgedrückt: Gerade durch die Fragen, auf die es keine Antwort gibt, sind die Möglichkeiten des Menschen abgesteckt, die Grenzen seiner Existenz gezogen.) Teresa steht wie verhext vor dem Spiegel und betrachtet ihren Körper, als wäre er ihr fremd; fremd und dennoch ihr zugesprochen. Sie verspürt Abneigung gegen diesen Körper, der nicht die Kraft hatte, zum einzigen Körper in Tomas' Leben zu werden. Dieser Körper hat sie enttäuscht und verraten. Eine ganze Nacht lang hat sie nun den Geruch eines fremden Schoßes in seinem Haar einatmen müssen!
Sie hat plötzlich Lust, ihren Körper zu entlassen wie ein Dienstmädchen. Nur noch als Seele mit Tomas zusammenzusein und den Körper in die Welt hinauszujagen, damit er sich dort benehme wie andere weibliche Körper sich mit männlichen Körpern benehmen!
Da Teresas Körper es nicht geschafft hat, zum einzigen Körper für Tomas zu werden und er den größten Kampf in ihrem Leben verloren hat, so soll er doch gehen, dieser Körper!
7.
Sie kehrte nach Hause zurück und aß in der Küche stehend lustlos zu Mittag. Um halb vier nahm sie Karenin an die Leine und ging mit ihm (wie immer zu Fuß) in das Hotel in einem Prager Vorort, wo sie arbeitete. Sie war Barfrau geworden, nachdem man sie beim Wochenblatt hinausgeworfen hatte. Das war einige Monate nach ihrer Rückkehr aus Zürich; man konnte es ihr doch nicht verzeihen, daß sie sieben Tage lang russische Panzer fotografiert hatte. Die Stelle in der Bar hatte sie durch die Vermittlung von Freunden gefunden: auch andere Leute, die zur gleichen Zeit ihre Arbeit verloren hatten, fanden dort Zuflucht. Die Buchhaltung führte ein ehemaliger Theologieprofessor, in der Rezeption saß ein ehemaliger Botschafter.
Sie hatte wieder Angst um ihre Beine. Als sie damals im Restaurant in der Kleinstadt arbeitete, hatte sie entsetzt die Krampfadern in den Waden ihrer Kolleginnen beobachtet.
Das war die Krankheit aller Serviererinnen, die gezwungen waren, ihr Leben im Gehen, Laufen und Stehen mit schwerbeladenen Armen zu verbringen. Die jetzige Arbeit war trotz allem angenehmer als damals in der Provinz. Zwar mußte sie vor Beginn des Dienstes schwere Bier- und Sprudelkisten schleppen, doch die restliche Zeit verbrachte sie hinter der Theke, schenkte den Gästen Getränke aus und wusch zwischendurch die Gläser in einem kleinen Spülbecken neben der Bar. Karenin lag die ganze Zeit über geduldig zu ihren Füßen.
Mitternacht war längst vorüber, wenn sie mit der Abrechnung fertig war und dem Hoteldirektor das Geld brachte.
Dann verabschiedete sie sich von dem Botschafter, der den Nachtdienst machte. Hinter dem langen Rezeptionstresen führte eine Tür in ein kleines Zimmer, in dem man auf einer schmalen Pritsche ein Schläfchen halten konnte. Über der Pritsche hingen gerahmte Fotografien; darauf sah man ihn immer wieder mit anderen Leuten, die in den Apparat lächelten, ihm die Hand schüttelten oder neben ihm an einem Tisch saßen und etwas unterschrieben. Einige Fotografien trugen eigenhändige Widmungen. An einer besonders sichtbaren Stelle hing eine Aufnahme, auf der man neben dem Kopf des Botschafters das lächelnde Gesicht von John F. Kennedy sah.
In dieser Nacht unterhielt sich der Botschafter nicht mit dem amerikanischen Präsidenten, sondern mit einem unbekannten Mann in den Sechzigern, der bei Teresas Anblick verstummte.
»Das ist eine Freundin«, sagte der Botschafter, »du kannst ruhig weiterreden.« Dann wandte er sich an Teresa: »Gerade heute hat man seinen Sohn zu fünf Jahren verurteilt.«
Sie erfuhr, daß der Sohn des Unbekannten zusammen mit Freunden in den ersten Tagen der Invasion den Eingang eines Gebäudes überwacht hatte, in dem sich ein Sonderdienst der russischen Armee einquartiert hatte. Sie wußten, daß die Tschechen, die aus diesem Gebäude kamen, Agenten in russischen Diensten waren. Sie folgten ihnen, identifizierten ihre Autokennzeichen und gaben die Informationen an die Redakteure eines tschechischen Geheimsenders weiter, der die Bevölkerung vor diesen Leuten warnte. Einen von ihnen hatte er mit Hilfe seiner Freunde verprügelt.
Der Unbekannte sagte: »Dieses Foto war der einzige Beweis. Er hat alles abgestritten bis zu dem Moment, da man es ihm vorlegte.«
Er zog einen Zeitungsausschnitt aus der Brusttasche: »Es ist im Herbst 1968 in der Times
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