Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins
Teresa.
»In der Kneipe gegenüber«, lachte er und verlangte nochmals eine Limonade.
»Und warum sind Sie nicht dort geblieben?«
»Weil ich Sie sehen will«, sagte der Junge, »ich liebe Sie!«
Sein Gesicht war eigenartig verzerrt, als er das sagte.
Teresa begriff nicht: Machte er sich lustig? Kokettierte er?
Scherzte er? Oder wußte er ganz einfach nicht, was er sagte, weil er betrunken war?
Sie stellte eine Limonade vor ihn hin und kümmerte sich wieder um die anderen Gäste. Der Satz »Ich liebe Sie!« schien die Kräfte des Jungen erschöpft zu haben. Er sagte nichts mehr, legte schweigend sein Geld auf die Theke und verschwand, ohne daß Teresa es bemerkte.
Kaum war er weg, ergriff ein untersetzter Mann mit Glatze, der schon drei Glas Wodka getrunken hatte, das Wort: »Fräulein, Sie wissen doch, daß man Minderjährigen keinen Alkohol ausschenken darf!«
»Ich habe ihm keinen Alkohol gegeben! Er hat eine Limonade bekommen!«
»Ich habe genau gesehen, was Sie ihm in die Limonade geschüttet haben!«
»Das ist doch Unsinn!« schrie Teresa.
»Noch einen Wodka«, gebot der Glatzkopf und fügte hinzu: »Ich beobachte Sie bereits seit längerer Zeit!«
»Dann seien Sie zufrieden, daß Sie eine schöne Frau ansehen dürfen und halten Sie das Maul!« ertönte die Stimme eines großen Mannes, der sich vor einer Weile an die Theke gestellt und die ganze Szene mitverfolgt hatte.
»Mischen Sie sich nicht ein! Sie geht das nichts an!« schrie der Glatzkopf.
»Und können Sie mir erklären, was Sie das angeht?« fragte der Große.
Teresa goß dem Glatzkopf den bestellten Wodka ein. Er trank ihn in einem Zug aus, zahlte und ging.
»Ich danke Ihnen«, sagte Teresa zu dem Großen.
»Das ist nicht der Rede wert«, sagte er und ging ebenfalls.
Einige Tage später tauchte er wieder an der Bar auf. Als sie ihn sah, lächelte sie ihm zu wie einem Freund. »Ich muß Ihnen nochmals danken. Dieser Kahlkopf kommt häufig her, ein schrecklich unangenehmer Typ.«
»Vergessen Sie ihn.«
»Warum hat er mich angegriffen?«
»Das ist nur ein Säufer ohne jede Bedeutung. Ich möchte Sie nochmals bitten: vergessen Sie ihn.«
»Wenn Sie mich darum bitten, will ich ihn gern vergessen.«
Der große Mann sah ihr in die Augen: »Versprechen Sie es mir!«
»Ich verspreche es!«
»Wie schön, aus Ihrem Mund zu hören, daß Sie mir etwas versprechen«, sagte der Mann und sah ihr immer noch in die Augen.
Da war sie, die Koketterie: das Verhalten, das dem anderen zu verstehen gibt, daß eine sexuelle Annäherung zwar möglich, diese Möglichkeit aber gleichzeitig ohne Gewähr ist und rein theoretisch.
»Wie kommt es, daß man im häßlichsten aller Prager Stadtteile eine Frau wie Sie antrifft?«
»Und Sie? Was machen Sie im häßlichsten Stadtteil von Prag?«
Er sagte ihr, daß er nicht weit entfernt wohnte, Ingenieur sei und neulich durch puren Zufall hereingeschaut hätte, auf dem Heimweg von seiner Arbeit.
Sie schaute Tomas an, ihr Blick war aber nicht auf seine Augen gerichtet, sondern zehn Zentimeter höher, auf sein Haar, das nach einem fremden Schoß roch.
Sie sagte: »Tomas, ich halte es nicht mehr aus. Ich weiß, ich darf mich nicht beklagen. Seit du meinetwegen nach Prag zurückgekehrt bist, habe ich mir die Eifersucht verboten. Ich will nicht mehr eifersüchtig sein, aber ich bin nicht stark genug, um mich dagegen zu wehren. Hilf mir, bitte!«
Er faßte sie am Arm und führte sie in einen Park, in dem sie vor Jahren oft spazierengegangen waren. Es gab dort Bänke, blaue, gelbe und rote. Sie setzten sich und Tomas sagte: »Ich verstehe dich. Ich weiß, was du willst und habe alles arrangiert. Du gehst jetzt auf den Laurenziberg.«
Auf einmal bekam sie Angst: »Auf den Laurenziberg? Warum denn auf den Laurenziberg?«
»Du steigst ganz hinauf und du wirst alles verstehen.«
Sie hatte überhaupt keine Lust zu gehen; ihr Körper war so schwach, daß sie sich nicht von der Bank erheben konnte.
Aber sie war unfähig, Tomas nicht zu gehorchen. Unter großer Mühe stand sie auf.
Sie blickte zurück. Er saß immer noch auf der Bank und lächelte ihr fast fröhlich zu. Er machte mit seiner Hand eine Geste, die sie zum Weggehen aufmuntern sollte.
Als sie am Fuß des Laurenziberges stand, dieses grünen Hügels mitten in Prag, stellte sie verwundert fest, daß kein Mensch dort war. Seltsam, denn normalerweise gingen Massen von Pragern in diesen Alleen spazieren. Sie hatte Angst im Herzen, der Berg war aber so still
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