Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins
erschienen.«
Auf der Fotografie war ein junger Mann zu sehen, der einen anderen am Kragen packte. Die Leute ringsum schauten zu. Darunter war zu lesen: Bestrafung eines Kollaborateurs.
Teresa atmete auf. Nein, die Aufnahme stammte nicht von ihr.
Dann machte sie sich mit Karenin auf den Heimweg durch das nächtliche Prag. Sie dachte an die Tage zurück, als sie Panzer fotografiert hatte. Was für Narren waren sie doch alle gewesen, als sie geglaubt hatten, ihr Leben für das Vaterland aufs Spiel zu setzen! Statt dessen hatten sie, ohne es zu wissen, für die russische Polizei gearbeitet.
Sie kam um halb zwei nach Hause. Tomas schlief schon. Sein Haar roch nach einem weiblichen Schoß.
Was ist Koketterie? Man könnte vielleicht sagen, es sei ein Verhalten, in dem man dem anderen zu verstehen gibt, daß eine sexuelle Annäherung möglich ist, ohne daß man diese Möglichkeit als sicher erscheinen läßt. Mit anderen Worten: Koketterie ist ein Versprechen zum Koitus, aber ein Versprechen ohne Gewähr.
Teresa steht hinter der Theke, und die Gäste, denen sie Getränke ausschenkt, machen Annäherungsversuche. Ist dieser endlose Schwall von Komplimenten, Zweideutigkeiten, Anekdoten, Anträgen, Lächeln und Blicken ihr unangenehm? Keineswegs. Sie verspürt ein unbezwingbares Verlangen, ihren Körper (ihren fremden Körper, den sie in die Welt hinausjagen möchte) dieser Brandung auszusetzen.
Tomas hat immer wieder versucht, sie davon zu überzeugen, daß die Liebe und der Liebesakt zwei verschiedene Dinge sind. Sie wollte das nicht verstehen. Nun ist sie von Männern umgeben, für die sie nicht die geringste Sympathie hegt. Wie wäre es, mit ihnen ins Bett zu gehen? Sie will es versuchen, wenigstens in Form des Versprechens ohne Gewähr, das man Koketterie nennt.
Damit keine Mißverständnisse entstehen: sie will nicht Tomas etwas heimzahlen. Sie will einen Ausweg aus dem Irrgarten finden. Sie weiß, daß sie ihn belastet: sie nimmt die Dinge zu ernst, macht aus allem eine Tragödie, kann die Leichtigkeit der körperlichen Liebe, deren kurzweilige Unverbindlichkeit nicht verstehen. Diese Leichtigkeit möchte sie lernen! Sie wünscht sich, daß jemand sie lehre, nicht mehr anachronistisch zu sein!
Ist die Koketterie für andere Frauen eine zweite Natur, eine nichtssagende Routine, so ist sie für Teresa zu einem wichtigen Forschungsfeld geworden, auf dem sie herausfinden will, wozu sie fähig ist. Aber gerade weil die Koketterie für sie so wichtig und so ernst ist, hat sie alle Leichtigkeit verloren, sie wirkt gezwungen, gewollt, übertrieben. Das Gleichgewicht zwischen Versprechen und fehlender Gewähr (auf dem die echte Virtuosität der Koketterie beruht!) ist gestört. Sie verspricht allzu eifrig, ohne die fehlende Gewähr klar genug zum Ausdruck zu bringen. Mit anderen Worten, sie erscheint für jedermann außerordentlich zugänglich. Fordern die Männer aber die Erfüllung dessen, was ihnen vermeintlich versprochen worden ist, so stoßen sie auf heftigen Widerstand, den sie sich nicht anders erklären können, als daß Teresa raffiniert und boshaft sein muß.
9.
Ein etwa sechzehnjähriger Junge setzte sich auf einen freien Barhocker. Er sagte ein paar provozierende Sätze, die im Gespräch stehenblieben wie ein falscher Strich in einer Zeichnung, den man weder weiterführen noch ausradieren kann.
»Sie haben schöne Beine«, sagte er.
Sie schnitt ihm das Wort ab: »Als ob man das durch diese Holzwand sehen könnte!«
»Ich kenne Sie. Ich sehe Sie öfter auf der Straße«,
erklärte er, aber sie hatte sich schon von ihm abgewandt und kümmerte sich um einen anderen Gast. Der Junge bestellte einen Cognac. Sie verweigerte ihn.
»Ich bin schon achtzehn«, protestierte er.
»Dann zeigen Sie mir Ihren Personalausweis.«
»Mach ich nicht.«
»Dann trinken Sie Limonade!«
Der Junge glitt wortlos vom Barhocker und verschwand.
Nach einer halben Stunde kehrte er zurück und setzte sich wieder schwungvoll an die Bar. Er stank auf drei Meter nach Alkohol.
»Eine Limonade!« befahl er.
»Sie sind ja betrunken!« sagte Teresa.
Der Junge wies auf die gedruckte Anweisung an der Wand hinter Teresa: Es ist verboten, Jugendlichen unter achtzehn Jahren alkoholische Getränke auszuschenken.
»Sie dürfen mir keinen Alkohol ausschenken«, sagte er und wies mit einer ausholenden Geste auf Teresa, »aber es steht nirgends geschrieben, daß ich nicht betrunken sein darf!«
»Wo haben Sie sich so zugerichtet?« fragte
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