Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins
hingegen wachte widerwillig auf, sie wünschte sich, die Nacht zu verlängern und die Augen nicht zu öffnen.
Nun stand er im Flur und schaute zur Garderobe hinauf, wo Halsband und Leine hingen. Teresa legte ihm das Halsband um, und sie gingen zusammen in den Laden, wo sie Milch, Brot und Butter kaufte, und, wie immer, ein
Hörnchen für ihn. Auf dem Heimweg trottete er mit dem Hörnchen in der Schnauze neben ihr her. Stolz schaute er um sich, es tat ihm sichtlich gut, wenn man auf ihn aufmerksam wurde und auf ihn zeigte.
Zu Hause legte er sich mit dem Hörnchen im Maul auf die Schwelle und wartete, bis Tomas ihn bemerkte, niederkauerte, zu knurren anfing und tat, als wollte er ihm das Hörnchen wegnehmen. Das wiederholte sich jeden Morgen: mindestens fünf Minuten lang jagten sie sich durch die Wohnung, bis Karenin schließlich unter den Tisch kroch und sein Hörnchen verschlang.
Diesmal wartete er vergebens auf die Morgenzeremonie. Tomas saß am Tisch vor einem Transistorradio und hörte gespannt zu.
2.
Im Radio wurde eine Sendung über die tschechische Emigration ausgestrahlt: eine Montage von heimlich abgehörten Privatgesprächen, aufgenommen von einem tschechischen Spion, der sich unter die Emigranten gemischt hatte, um dann unter großem Hurra wieder nach Hause zurückzukehren. Es handelte sich um belanglose Plaudereien, in denen ab und zu scharfe Worte über das Besatzungsregime in der Heimat fielen, aber auch Sätze, in denen Emigranten sich gegenseitig als Idioten und Betrüger beschimpften. Gerade diese Passagen wurden in der Reportage besonders hervorgehoben: sie sollten beweisen, daß diese Leute nicht nur über die Sowjetunion schlecht redeten (was niemanden empörte), sondern sich auch gegenseitig verleumdeten und mit Schimpfwörtern bewarfen. Das ist sehr interessant: man sagt von früh bis spät Grobheiten daher, hört man aber einen bekannten und verehrten Menschen im Radio nach jedem Satz >Scheiße< sagen, so ist man irgendwie enttäuscht.
»All das hat mit Prochazka angefangen«, sagte Tomas und hörte weiter zu.
Jan Prochazka war ein tschechischer Schriftsteller, ein Vierzigjähriger mit der Vitalität eines Stiers, der schon vor 1968 angefangen hatte, die öffentlichen Verhältnisse laut zu kritisieren. Er war einer der beliebtesten Männer des Prager Frühlings, jener schwindelerregenden Liberalisierung des Kommunismus, die mit der russischen Invasion endete.
Kurz nach dem Einmarsch fingen alle Zeitungen an, gegen ihn zu hetzen; je mehr sie aber hetzten, desto lieber hatten ihn die Leute. Aus diesem Grund begann der Rundfunk (im Jahre 1970), in Fortsetzungen die privaten Gespräche zu senden, die Prochazka zwei Jahre zuvor (im Frühjahr 1968) mit einem Universitätsprofessor geführt hatte. Keiner der beiden hatte damals geahnt, daß in der Wohnung des Professors eine Abhöranlage installiert war und sie längst auf Schritt und Tritt überwacht wurden! Prochazka hatte seine Freunde immer mit Übertreibungen und Absurditäten amüsiert. Dann aber waren diese Absurditäten in Fortsetzungen im Radio zu hören. Die Geheimpolizei, die das Programm redigiert hatte, hob absichtlich die Stellen hervor, wo der Schriftsteller sich über seine Freunde lustig machte, zum Beispiel über Dubcek. Obwohl alle Welt bei jeder Gelegenheit über Freunde herzieht, waren die Leute über ihren geliebten Prochazka entrüsteter als über die verhaßte Geheimpolizei.
Tomas stellte das Radio ab und sagte: »Eine Geheimpolizei gibt es überall auf der Welt. Daß sie aber ihre Tonbänder öffentlich im Radio sendet, das gibt es nur bei uns! Das schreit doch zum Himmel!«
»Ach, woher denn«, sagte Teresa, »als ich vierzehn war, habe ich heimlich Tagebuch geführt. Ich zitterte beim Gedanken, jemand könnte es lesen und versteckte es auf dem Dachboden. Die Mutter hat es trotzdem aufgestöbert. Einmal, beim Mittagessen, als alle den Kopf über dem Suppenteller hatten, zog sie es aus der Tasche und sagte: Nun hört mal alle gut zu! Sie las daraus vor und krümmte sich nach jedem Satz vor Lachen. Alle anderen lachten mit und konnten gar nicht mehr essen.«
3.
Er wollte sie immer überreden, ihn allein frühstücken zu lassen und weiterzuschlafen. Aber sie wollte davon nichts wissen. Tomas arbeitete von sieben bis vier und sie von vier bis Mitternacht. Hätte sie nicht mit ihm gefrühstückt, hätten sie nur noch sonntags miteinander reden können. Deshalb stand sie mit ihm auf, und wenn er weggegangen war,
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