Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins
wurde. Darin standen ein Tisch mit einer Kochplatte und ein Kühlschrank. Als sie weiterging, erblickte sie das vertikale Rechteck eines Fensters am Ende des engen, langgezogenen Zimmers; auf der einen Seite standen Bücherregale, auf der anderen eine Couch und ein Sessel.
»Meine Wohnung ist sehr bescheiden«, sagte der Ingenieur, »ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus.«
»Nein, überhaupt nichts«, sagte Teresa mit einem Blick auf die Wand, die ganz mit Bücherregalen bedeckt war. Dieser Mann hatte keinen richtigen Tisch, aber Hunderte von Büchern. Das war Teresa lieb, und die Beklommenheit, mit der sie hergekommen war, legte sich etwas. Seit ihrer Kindheit betrachtete sie das Buch als
Zeichen einer geheimen Bruderschaft. Ein Mensch mit einer solchen Bibliothek würde ihr nichts Böses antun können.
Er fragte sie, was er ihr anbieten könnte. Wein?
Nein, nein, Wein wollte sie nicht. Wenn überhaupt etwas, dann Kaffee.
Er verschwand hinter dem Vorhang, und sie trat vor die Bibliothek. Ein Buch fiel ihr sofort ins Auge. Eine Übersetzung des Ödipus von Sophokles. Wie sonderbar, daß dieses Buch hier stand! Vor Jahren hatte Tomas es ihr geschenkt, mit der Bitte, es zu lesen, und er hatte lange darüber gesprochen. Er hatte seine Überlegungen für eine Zeitung zu Papier gebracht, und eben dieser Artikel hatte ihrer beider Leben völlig auf den Kopf gestellt. Sie schaute auf den Buchrücken, und dieser Anblick beruhigte sie. Als hätte Tomas hier absichtlich eine Spur hinterlassen, eine Botschaft, die besagte, daß er das alles arrangiert hatte. Sie zog das Buch heraus und öffnete es. Wenn der große Mann zurückkäme, würde sie ihn fragen, warum er dieses Buch besaß, ob er es gelesen hatte und was er davon hielt. Sie würde das Gespräch durch diese List aus dem gefährlichen Terrain der fremden Wohnung in die vertraute Welt von Tomas' Denken hinüberleiten.
Sie spürte eine Hand auf ihrer Schulter. Der Mann nahm ihr das Buch aus der Hand, stellte es wortlos ins Regal zurück und führte sie zur Couch.
Wieder kam ihr der Satz in den Sinn, den sie dem Henker auf dem Laurenziberg gesagt hatte. Sie sprach ihn jetzt laut aus: »Es ist aber nicht mein Wunsch!«
Sie hatte geglaubt, es handelte sich um eine Zauberformel, die die Situation augenblicklich verändern würde, aber in diesem Zimmer hatten die Worte ihre magische Kraft verloren. Mir scheint sogar, daß sie den Mann zu noch stärkerer Entschlossenheit angespornt haben: er preßte Teresa an sich und legte seine Hand auf ihre Brust.
Sonderbar: diese Berührung befreite sie plötzlich von ihrer Beklommenheit. Der Ingenieur hatte mit dieser Berührung auf ihren Körper verwiesen, und ihr wurde bewußt, daß es nicht um sie (um ihre Seele) ging, sondern einzig und allein um ihren Körper. Um diesen Körper, der sie verraten hatte, und den sie in die Welt hinausgejagt hatte zu anderen Körpern.
17.
Er begann, ihre Bluse aufzuknöpfen und bedeutete ihr, selbst weiterzumachen. Sie folgte dieser Aufforderung jedoch nicht. Sie hatte ihren Körper in die Welt hinausgejagt, wollte aber keine Verantwortung für ihn übernehmen. Sie wehrte sich nicht und half ihm nicht. Ihre Seele wollte auf diese Weise zu verstehen geben, daß sie zwar mit dem, was vor sich ging, nicht einverstanden war, aber dennoch beschlossen hatte, sich neutral zu verhalten.
Er zog sie aus, und sie blieb dabei fast regungslos. Als er sie küßte, erwiderten ihre Lippen den Druck nicht. Dann spürte sie plötzlich, wie ihr Schoß feucht wurde, und erschrak.
Sie spürte ihre Erregung, die um so stärker war, als sie gegen ihren Willen entstanden war. Ihre Seele hatte insgeheim bereits in alles, was passierte, eingewilligt, sie wußte aber, daß diese Einwilligung unausgesprochen bleiben mußte, wenn die starke Erregung andauern sollte.
Würde sie ihr Ja laut aussprechen und die Liebesszene freiwillig mitspielen, so ließe die Erregung nach. Denn die Seele war gerade dadurch erregt, daß der Körper gegen seinen Willen handelte, daß er sie verriet und sie diesem Verrat zuschaute.
Dann zog er ihr den Slip aus; sie war jetzt nackt. Die Seele sah den entblößten Körper in der Umarmung eines fremden Mannes, und es kam ihr unglaublich vor, als schaute sie aus der Nähe auf den Planeten Mars. Im Lichte dieser Unglaublichkeit verlor ihr Körper zum ersten Mal seine Banalität, zum ersten Mal betrachtete sie ihn wie verzaubert; all das, was an ihm einzigartig und unnachahmlich war, trat in
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