Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins
die Krähe tot.
22.
Im ersten Jahr ihrer Liebe schrie Teresa, wenn sie sich liebten, und dieser Schrei, wie gesagt, sollte ihre Sinne blind und taub machen. Später schrie sie seltener, ihre Seele war aber noch immer geblendet von der Liebe und sah nichts. Erst als sie mit dem Ingenieur geschlafen hatte, machte das Fehlen der Liebe ihre Seele sehend.
Sie war wieder in der Sauna und stand vor dem Spiegel. Sie schaute sich an und sah jene Liebesszene in der Wohnung des Ingenieurs vor sich. Was sie davon im Gedächtnis behalten hatte, war nicht etwa der Liebhaber. Ehrlich gesagt, sie hätte ihn nicht beschreiben können, vielleicht hatte sie nicht einmal bemerkt, wie er nackt aussah. Woran sie sich erinnerte (und was sie nun, erregt, im Spiegel betrachtete), war ihr eigener Körper; ihr Geschlecht und der runde Fleck dicht darüber. Dieser Fleck, bis dahin nichts weiter als ein gewöhnlicher Schönheitsfehler, hatte sich in ihre Gedanken eingeprägt. Sie wollte ihn wieder und wieder in dieser unglaublichen Nähe eines fremden männlichen Gliedes sehen.
Ich möchte nochmals betonen: Sie wollte nicht das Geschlecht des fremden Mannes sehen. Sie wollte ihre eigene Scham in der Nähe eines fremden Gliedes sehen. Sie begehrte nicht den Körper des Liebhabers. Sie begehrte ihren eigenen, ihren plötzlich entdeckten, diesen ihr allernächsten, allerfremdesten und erregendsten aller Körper.
Sie sah ihren Körper bedeckt von feinen Tröpfchen, die noch vom Duschen auf der Haut hafteten, und dachte daran, daß der Ingenieur in den nächsten Tagen wieder in der Bar vorbeikommen würde. Sie wünschte sich, daß er kommen und sie zu sich einladen würde! Und wie sie sich das wünschte!
23.
Tag für Tag fürchtete sie, daß der Ingenieur an der Bar auftauchte, und sie nicht nein sagen könnte. Die Tage verflossen, und die Befürchtung, er könnte kommen, verwandelte sich in die Angst, er könnte nicht kommen.
Es verging ein Monat, und der Ingenieur ließ sich nicht blicken. Für Teresa war das unerklärlich. Das enttäuschte Verlangen trat in den Hintergrund, um einer Beunruhigung Platz zu machen: Warum war er nicht gekommen?
Sie bediente ihre Gäste. Der Mann mit der Glatze, der ihr damals vorgeworfen hatte, sie habe Alkohol an Minderjährige ausgeschenkt, war wieder da. Er gab mit lauter Stimme eine schlüpfrige Anekdote zum besten, wie sie sie schon zu Hunderten von Betrunkenen gehört hatte, als sie noch in der Kleinstadt Bier servierte. Wieder schien die Welt der Mutter zu ihr zurückgekehrt zu sein, und deshalb unterbrach sie den Glatzkopf sehr unwirsch.
Der Mann war beleidigt: »Sie haben mir nichts zu befehlen. Sie können froh sein, daß wir Sie hinter dieser Theke überhaupt arbeiten lassen.«
»Wer wir? Wer ist das, wir?«
»Wir«, sagte der Mann und bestellte einen weiteren Wodka. »Und denken Sie daran, mich werden Sie nicht beleidigen!«
Dann zeigte er auf Teresas Hals, um den sie eine billige Perlenkette trug. »Wo haben Sie denn diese Perlen her? Die haben Sie sicher nicht von Ihrem Mann, dem Fensterputzer! Der kann Ihnen doch solche Geschenke nicht bezahlen! Kriegen Sie sowas von den Gästen? Und wofür wohl?«
»Halten Sie augenblicklich das Maul!« zischte Teresa.
Der Mann versuchte, das Halsband zwischen die Finger zu nehmen: »Und merken Sie sich, bei uns ist die Prostitution verboten!«
Karenin richtete sich auf, legte die Vorderpfoten auf die Theke und fing an zu knurren.
Der Botschafter sagte: »Das war ein Spitzel.«
»Ein Spitzel würde sich nicht so auffällig benehmen«, gab Teresa zu bedenken. »Was ist das für eine Geheimpolizei, die aufgehört hat, geheim zu sein?«
Der Botschafter setzte sich mit untergeschlagenen Beinen auf die Pritsche, wie er es beim Yoga gelernt hatte. Über seinem Kopf lächelte Kennedy, was seinen Worten eine besondere Würde verlieh.
»Frau Teresa«, sagte er väterlich, »Spitzel haben mehrere Funktionen. Die erste ist klassisch. Mithören, was die Leute sich so erzählen, und es den Vorgesetzten weitermelden.
Die zweite Funktion ist die Einschüchterung. Sie geben einem zu verstehen, daß sie Macht über einen haben, sie wollen einem Angst einflößen. Was Ihr Kahlkopf soeben versucht hat.
Die dritte Funktion besteht im Inszenieren von kompromittierenden Situationen. Heute ist niemand mehr daran interessiert, uns staatsfeindlicher Umtriebe zu bezichtigen, das würde uns nur noch mehr Sympathien verschaffen. So versucht man lieber, in unseren Taschen
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