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Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins

Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins

Titel: Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milan Kundera
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den Vordergrund. Es war nicht mehr der gewöhnlichste aller Körper (wie sie ihn bisher gesehen hatte), sondern der ungewöhnlichste. Die Seele konnte ihren Blick nicht von diesem runden braunen Fleck, einem Muttermal direkt über dem Schamhaar, losreißen; es schien ihr, als sei dieses Mal ihr Siegel, das sie (die Seele) dem Körper aufgedrückt hatte, und daß ein fremdes Glied sich so schändlich nahe bei diesem heiligen Siegel bewegte.
    Als sie sein Gesicht sah, wurde ihr wieder bewußt, niemals eingewilligt zu haben, daß der Körper, auf den die Seele ihre Unterschrift gesetzt hatte, in den Armen von jemandem lag, den sie nicht kannte und nicht kennen wollte. Ein betäubender Haß ergriff Besitz von ihr. Sie sammelte ihren Speichel, um ihn dem fremden Mann ins Gesicht zu spucken. Sie beobachteten sich gegenseitig mit derselben Begierde; er bemerkte ihre Wut, und seine Bewegungen auf ihrem Körper wurden noch schneller. Teresa fühlte, wie von ferne die Lust auf sie zukam, und sie fing zu schreien an: »Nein, nein, nein!«
    Sie wehrte sich gegen das aufkommende Lustgefühl, und gerade weil sie sich dagegen wehrte, floß die aufgestaute
    Lust in ihren ganzen Körper, aus dem es keinen Ausweg gab; die Lust breitete sich in ihr aus wie Morphium in den Adern.
    Teresa tobte in den Armen des Mannes, schlug um sich und spuckte ihm ins Gesicht.
    18.
    In modernen Badezimmern wachsen die Klosettbecken wie die weißen Blüten der Seerosen aus dem Boden. Der Architekt tut alles, um den Körper sein Elend vergessen zu lassen, und man weiß nicht, was mit den Abfällen aus den Eingeweiden geschieht, wenn das Wasser aus dem Reservoir rauschend darüber zusammenschlägt. Obwohl die Röhren der Kanalisation mit ihren Fangarmen bis in unsere Wohnungen reichen, sind sie sorgfältig vor unseren Blicken verborgen, und wir wissen nichts vom unsichtbaren Venedig der Scheiße, über dem unsere Badezimmer, unsere Schlafzimmer, unsere Tanzsäle und unsere Parlamente gebaut sind.
    Die Toiletten des alten Wohnblocks in dem Prager Arbeitervorort waren weniger verlogen; der Fußboden war mit grauen Kacheln ausgelegt, über denen sich die Kloschüssel verwaist und erbärmlich erhob. Ihre Form erinnerte nicht an eine Seerose, sondern sah aus wie das, was sie war: ein erweitertes Rohrende. Sogar die Holzbrille fehlte, Teresa mußte sich auf das kalte Email setzen, das sie frösteln ließ.
    Sie saß auf dem Klosett, und der Wunsch, ihre Eingeweide zu entleeren, der sie plötzlich befallen hatte, war der Wunsch, bis ans Ende der Erniedrigung zu gehen, so stark wie möglich, so vollkommen wie möglich nur noch Körper zu sein, dieser Körper, von dem die Mutter immer gesagt hatte, er sei nur zur Verdauung und zur Ausscheidung da. Teresa entleerte ihre Eingeweide mit einem Gefühl grenzenloser Trauer und Einsamkeit. Es gab nichts Elenderes als ihren nackten Körper, der auf diesem erweiterten Ende eines Abwasserrohrs saß.
    Die Seele hatte die Neugierde eines Zuschauers, ihre Boshaftigkeit und ihren Stolz verloren; sie war wieder tief in den Körper zurückgekehrt, in den hintersten Winkel der Eingeweide, und wartete verzweifelt, ob sie nicht jemand rief.
    19.
    Sie erhob sich vom Klosett, zog die Wasserspülung und trat in der Vorraum. Die Seele zitterte im nackten und verstoßenen Körper. Sie spürte noch die Berührung des Papiers, mit dem sie sich den Hintern abgewischt hatte.
    Und da geschah etwas, das sie nie mehr vergessen sollte: sie hatte Lust, zu ihm ins Zimmer zurückzugehen und seine Stimme zu hören, die ihren Namen sagte. Hätte er sie mit einer ruhigen, tiefen Stimme angesprochen, so hätte ihre Seele es gewagt, an die Oberfläche des Körpers zu treten, und sie hätte zu weinen angefangen. Sie hätte ihn umarmt, wie sie im Traum den mächtigen Stamm der Kastanie umarmt hatte.
    Sie stand im Vorraum und kämpfte gegen die grenzenlose Lust an, vor ihm in Tränen auszubrechen.  Wenn sie nicht dagegen ankämpfte, das wußte sie, dann würde etwas geschehen, was sie nicht wollte. Sie würde sich in ihn verlieben.
    In diesem Augenblick ertönte seine Stimme aus dem Inneren des Zimmers. Als sie diese Stimme hörte (ohne gleichzeitig die hochgewachsene Gestalt des Ingenieurs zu sehen), war sie überrascht: sie klang dünn und hoch. Wie kam es, daß sie das noch nicht bemerkt hatte?
    Vielleicht verdankte sie es diesem unerwartet unangenehmen Eindruck seiner Stimme, daß sie die Versuchung verscheuchen konnte. Sie kehrte zurück in das

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