Die Ungehorsame Historischer Roman
Auftraggeber gerechnet haben. Diese Brille sagt mir nämlich, wer geschossen hat.«
»In der Tat?«
»Ein Mann namens Karl Lüning, den ich eine Zeitlang als Sekretär beschäftigte, aber wegen grober Unregelmäßigkeiten entlassen musste. Man wird annehmen, er handelte aus Rache.«
»Er tat es nicht, nehmen Sie an?«
»Es wäre zwar eine denkbare Möglichkeit. Eine Befragung würde wohl nichts anderes ergeben, denn jener, der ihn beauftragt hat, hat Macht über ihn. Darum ist es besser, ihn einfach zu beobachten, bis ich zurück bin. Ich nehme sogar an, dieser Schuss diente nicht dazu, meinen Tod herbeizuführen, sondern war lediglich eine Warnung. Lüning ist ein zu großer Hasenfuß, um richtig zielen zu können.«
»Wie Sie ganz richtig formulierten, ein Geplänkel!«
»Genau. Der, der mich verfolgt, sucht sich seine Werkzeuge sorgsam aus, und Lüning ist ein rückgratloser Trottel. Möglicherweise - und darauf baue ich - ist sich mein Feind noch nicht ganz sicher über meine Identität.«
Leo hatte lediglich laut gedacht, aber Bredow hört ihm aufmerksam zu. Er stand jetzt auf und machte eine formelle Verbeugung vor ihm.
»Sie haben einen guten Leumund, Herr Mansel, und meine schändlichen Verdächtigungen sind kaum auf fruchtbaren Boden gefallen. Das hat mich bereits stutzig gemacht. Ich hätte auf meinen Instinkt hören sollen. Sie werden sich auf mich verlassen können.«
»Danke. Können wir uns auf die Version einigen, dass dieser Schuss ein bedauerlicher Zwischenfall war, der sich in der Nähe des Exerzierplatzes ergeben hat?«
»Natürlich. Ich werde meine Männer streng inspizieren, aber nichts finden. Mein Vorgesetzter wird eine Note mit einer Entschuldigung an Sie senden. Wäre das recht?«
»Sehr gut. Ich werde Ihnen zwei Briefe an Becker und meine Gemahlin mitgeben, die Ihre Rolle erklären. Ich hatte vor, mit dem Wagen zu reisen, aber inzwischen würde ich es fast vorziehen zu reiten. Und zwar möglichst unerkannt. Können Sie mir eine Uniform und ein Pferd besorgen? Sie würden beides durch Boten nach zwei, drei Tagen zurückerhalten.«
»Das wird möglich sein.«
Als Leo am nächsten Tag aufbrach, trug er eine Ulanenuniform und hatte sich den Bart abgenommen. Und die Augenklappe ließ er jetzt weg.
Enthüllungen
KEINE FREUNDSCHAFTLICHEN VERBINDUNGEN PFLEGEN
DAUERHAFTER ZU SEIN,
ALS DIE, WELCHE IN DER FRÜHERN JUGEND GESCHLOSSEN WERDEN.
Freiherr von Knigge: Über den Umgang unter Freunden
Es kostete Leonie erstmals beinahe ihre Beherrschung. Natürlich freuten sie sich alle, dass Sven kurz nach Leos Abreise eingetroffen war, aber Ursel und Lennard fühlten sich wohl doch gegängelt, denn nachdem Leonie den Brief gelesen hatte, den ihr Gatte ihr hatte zukommen lassen, war sie von den wildesten Sorgen geplagt und wollte die Zwillinge eigentlich überhaupt nicht mehr aus den Augen lassen.
Seufzend hörte sie, wie die beiden lauter als nötig die Treppen hinaufstapften. Offene Ungehörigkeit zeigten sie nicht, aber sie wirkten verstockt und bockig, weil sie ihnen wieder einmal nicht erlaubt hatte, einen Ausflug mit Freunden zu machen.
»Ich könnte mit ihnen zum Rudern gehen, Leonie!«, meinte Sven. »Dann sind sie wenigstens heute Abend rechtschaffen müde.«
»Es ist kalt und regnerisch.«
»Dann sollen sie dicke Jacken anziehen. Du zermürbst dich selbst.«
»Ja, ich weiß.«
Sven strich ihr über die Haare und ging dann zu den Kindern, um sie zum Wassersport zu überreden. Leonie wusste, sie waren dabei in guten Händen. Früher hatte Sven sie und Edith oft zu einer Bootsfahrt auf dem Rhein mitgenommen und ihnen selbstverständlich die Ruder in die Hand gedrückt. Ja, müde würden die beiden heute sein.
Sie selbst war auch müde, jedoch nicht körperlich. Es war eher eine geistige Müdigkeit, weil sie unablässig über die verschiedenen Entwicklungen nachdachte. Auf eine ganz besondere Weise hatte sie ihre Unschuld verloren, zum einen natürlich auf die angenehmste Art, die man sich vorstellen konnte - sie kannte nun die Leidenschaft.
Ein Teil ihrer selbst war von Sehnsucht und Verlangen erfüllt, und wenn sie nachts im Bett lag, dann schlich ihre Hand immer wieder zu der leeren Seite neben sich, und sie wünschte sich, dort den warmen, atmenden Körper ihres Mannes zu fühlen, wünschte sich, über seine bloße Haut streicheln zu könne und zu spüren, wie sein Herz lauter und schneller zu pochen begann. Dass sie diese Reaktion bei ihm auslöste, erfüllte sie
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