Die Ungehorsame Historischer Roman
würde ihr später etwas dazu sagen.
»Wie geht es denn diesem kleinen Mäuschen hier?«, fragte er und zog Ursel leicht an einem ihrer unordentlichen Zöpfe.
»Scheußlich, gnädiger Herr. Aber es tut nicht mehr so weh.«
»Das ist doch schon mal etwas. Und jetzt kommst du gleich in dein eigenes, schönes, sauberes Bett, und Edith wird dir bestimmt eine Geschichte vorlesen.«
»Darf ich Lennard sehen, gnädige Frau?«
»Er wartet schon mit scharrenden Hufen darauf, dich endlich wieder necken zu können.«
Es klang noch ein bisschen geisterhaft, aber es kam ein kleines Lachen heraus.
»Er scharrt oft, nicht?«
»Nun, an Ungeduld seid ihr beide euch ziemlich gleich.«
Nachdem das Mädchen versorgt war, setzte sich Leonie zu Sven in den Wintergarten.
»Kannte er ihn?«
»Ja, er kannte einen Hendryk Mansel. Und, ehrlich gesagt, er machte einen sehr überraschten Eindruck, als ich ihm erzählte, du seist mit ihm verheiratet und er führe ein bürgerliches Haus. Sie müssen sich 1837 das letzte Mal gesehen haben. Er war der Ansicht, Mansel sei bei der Eroberung der Stadt Constantine schwer verletzt worden und habe die Legion wegen dieser Verwundungen verlassen müssen.«
Leonie nickte nur.
»Bist du sicher, dass du ihm vertrauen kannst, Liebes?«
»Nein, sicher bin ich nicht, Sven. Lass es dennoch auf sich beruhen.«
»Du weißt, ich war vor acht Jahren in Algier. Ich habe Bekannte dort. Es wird zwar einige Zeit dauern, aber sie werden mir sicher helfen, Nachforschungen anzustellen. Zumal ich weiß, in welcher Einheit dieser Corporal Bredow diente.«
»Dann tu es, Sven. Aber sprich Mansel nicht darauf an. Es ist … Wir haben gerade eine gedeihlichere Form des Zusammenlebens gefunden, und ich möchte sie nicht aufs Spiel setzen.«
»Nun gut, das musst du selbst entscheiden.«
»Ja, ich entscheide es. Und nun musst du mir bei einer anderen Sache helfen.«
»Gerne. Was soll ich tun, Leonie?«
»Du kennst doch Gott und die Welt.«
»Und ein paar andere darüber auch noch.«
»Auch hier in Köln?«
»Auch hier in Köln.«
»Darunter beispielsweise auch einen Uhrmacher oder Juwelier?«
Der alte Mann grinste breit.
»Aber sicher.«
»Dann lass ihn uns aufsuchen. Ich brauche ein paar Kleinigkeiten.«
Hanno Altenberger war das, was Leonie bei sich einen knurzigen alten Kauz nannte. Etwa fünf oder sechs Jahre älter als der fünfundsechzigjährige Sven, aber ebenso rege und kommunikationsfreudig.
»Hab das Geschäft meinem Sohn abgegeben, der kümmert sich jetzt um die Herstellung von Waagen und anderen feinmechanischen Messgeräten. Macht er nicht schlecht, aber er ist ein rechter Biedermeier geworden. Wundert mich, wie ich so einen Abkömmling hervorgebracht habe. Wir waren zu unserer Zeit ganz anders, was Sven?«
»Die Zeiten waren anders, Hanno. Die Revolution, die Kriege, die Besatzung. Es sind viele jetzt ganz bieder geworden. Allen voran der König.«
»Wohl wahr. Thomas hat eine passende Biedermeierin geheiratet, die ist so etepetete, sie schnürt nicht einmal unter dem Nachthemd das Korsett auf.« Erschrocken hielt er inne und schaute Leonie verlegen an. »Gottchen, pardon, Frau Mansel, mir geht manchmal die Zunge durch!«
In der Tat war der alte Knurzen ein wenig rot geworden, und Leonie tat einfach so, als hätte sie gar nicht gehört, was er eben gesagt hatte.
»Nun ja, immerhin haben die beiden eine hübsche Tochter zustande gebracht und zwei prächtige Söhne. Die Rike ist achtzehn und ein fürwitziges Ding, die Jungen sind zwölf und zehn.«
Besagte Rike war es denn auch, die ihnen den Krümelkuchen und den Kaffee brachte, und Leonie fand sie pummelig und etwas ungelenk, ihrem Großvater aber aufrichtig zugetan.
»Was kann ich denn für euch tun, Sven?«, fragte Hanno, nachdem alle mit Kuchen versorgt waren.
»Meine Nichte hier hat außerordentlich begabte Finger. Sie hat bei mir einiges von meinem Handwerk gelernt und möchte es jetzt wieder ausüben. Im Familienkreis versteht sich.«
»Sie, Frau Mansel? Tatsächlich? Zeigen Sie mal Ihre Pfötchen her!«
Leonie reichte sie ihm mit einer eleganten Drehung der Handgelenke.
»Wunderhübsch, zartgliedrig, geschmeidig und wahrscheinlich auch geschickt genug, mit den kleinen Rädchen, Federn und Zeigern zu hantieren«, kommentierte er, was er sanft in seinen Händen herumdrehte.
»Nicht nur mit den Fingern, auch mit dem Kopf ist sie richtig gut, Hanno. Sie versteht die mechanischen Zusammenhänge fast besser als
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