Die Ungehorsame Historischer Roman
Bürgerhospital machte, das in dem ehemaligen Cäcilienkloster eingerichtet worden war. Er hatte Glück, den leitenden Chirurgen nach kurzer Wartezeit konsultieren zu können, und fand in ihm einen strikten Gegner der Operation. Immerhin aber schlug er ihm einen möglicherweise hilfreichen, aber erheblich kleineren Eingriff vor.
»Man könnte mit einem Trocar, das ist eine Glasröhre, die in die Bauchdecke eingeführt wird, die eitrige Körperflüssigkeit drainieren. Schmerzhaft ist das auch, aber wir haben inzwischen einige gute Medikamente, die den Patienten den Eingriff erleichtern.«
»Sie sprechen von Morphium?«
»Zum Beispiel.«
»Ich halte das für ein gefährliches Mittel.«
»Gefährlich ist es auch, wenn der Patient durch die Schmerzeinwirkung kollabiert.«
»Wann können Sie das Kind behandeln?«
»Bringen Sie sie noch heute her, die Zeit eilt offensichtlich.«
Nachdem Hendryk Mansel gemeinsam mit Albert die in Decken gewickelte Ursel in das Hospital gebracht hatte, machte er sich, noch immer aufgebracht und voller Sorge, auf, den Pfarrer zu besuchen, der die Elementarschule leitete. In seinem Büro hatte er ausrichten lassen, er müsse an diesem Tag wichtigen privaten Verpflichtungen nachkommen.
Der füllige Geistliche klärte ihn auf seine Fragen mit gelangweilter Stimme auf, seine Schüler bekämen gründlich den Katechismus eingebläut, lernten einige ausgewählte Bibelstellen auswendig, ebenso Gebete und Kirchenlieder. Daneben würden ihnen das Alphabet und ein wenig Lesen und Schreiben beigebracht. Die Fächer Rechnen, Naturkunde oder Literatur stünden nicht auf dem Lehrplan.
»Das schickt sich nicht für Arbeiterkinder und Dienstboten. Bringt sie nur auf falsche Gedanken.«
»Ja, den Eindruck habe ich auch. Ursel und Lennard Schneider werden ab sofort Ihr vortreffliches Institut nicht mehr besuchen.«
»Ein Entschluss, den ich nur gutheißen kann, Herr Mansel. Die beiden tragen den Keim des Widersetzlichen in sich, und strenge Arbeitszucht wird ihnen besser tun als der Unterricht. Aber die Sonntagsschule sollten sie weiterhin besuchen, denn nichts formt den jugendlichen Geist besser als regelmäßige Katechismusstunden.«
»Ich werde mich zu gegebener Zeit über die Inhalte Ihrer Lehrpläne an höherer Stelle beraten. Guten Tag, Herr Pfarrer!«
Hendryks Zorn hatte nicht nachgelassen, diesmal traf er überwiegend sich selbst und die Umstände, die ihn hinderten, mit offenem Visier zu kämpfen. Die Lage in den Waisenhäusern, den Fabriken und den Armenschulen stank zum Himmel. Aber - ein Schritt nach dem anderen, mahnte er sich und ging nach Hause.
Er hoffte, seine Gattin würde sich von ihrem hysterischen Anfall wieder erholt haben. Eigentlich überraschte es ihn, dass sie derart heftig reagiert hatte, sie war bisher immer ein Bild der Gelassenheit gewesen, beherrscht, wenn auch manchmal trotzig.
Sollte sie etwa eine tiefere Neigung zu den Kindern entwickelt haben, als sie ihm bisher gezeigt hatte? Wenn dem so war, dann mochte die Sorge um Ursels Gesundheit die Überreaktion erklären, und er schuldete ihr - wieder einmal - eine Entschuldigung.
Lennard saß wie ein Häuflein Elend im Ankleidezimmer seines Herrn, und bevor Hendryk seinem Weib gegenübertreten konnte, galt es auch hier erst einmal wieder, einen Schritt nach dem anderen zu tun.
»Wird sie sterben, gnädiger Herr?«
»Nein. Lennard. Mit Gottes und vermutlich auch Doktor Fischers Hilfe nicht.«
Obwohl er mannhaft versuchte, sie zu unterdrücken, rollte doch eine dicke Träne über Lennards Wange, und Hendryk schob seinen Sessel zu ihm hin, um die Hände des Jungen in die seinen zu nehmen.
»Sie hat eine unangenehme Operation durchzustehen, das ist richtig, aber die Ärzte wissen, was sie tun, und werden ihr so wenig
wie möglich wehtun, Lennard.« Und in Gedanken fügte er ein aufrichtiges Hoffentlich! hinzu. Wohl war ihm bei der Behandlung auch nicht, aber das Leben des Kindes hing davon ab. Und das Leben dieser Kinder bedeutete ihm unsagbar viel. Von Mitleid mit dem tapfer schluckenden Jungen übermannt, zog er ihn an sich und drückte ihn fest an seine Schulter. Lennard brach endgültig in Tränen aus, und sacht streichelte Mansel seinen Rücken.
»Ich weiß, wie Zwillinge fühlen, mein Junge. Du leidest genau wie sie. Morgen, Lennard, besuchen wir sie, versprochen!«
Das vom Weinen gerötete Gesicht hob sich zu ihm hoch, und mit einem Schluckauf in der Stimme fragte Lennard: »Warum sind Sie so lieb
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