Die ungehorsame Tochter
gefährlichen Weg brachte?
Habt Ihr nicht gesagt, der führe nur zu einer stillgelegten Mine?»
«Das stimmt schon. Aber auf dem Ritt über die Ebenen war es sicher gar nicht einfach, einen glaubwürdigen ‹Unfall› zu inszenieren.
Im Gebirge ist so was einfacher, besonders mit Pferden, die solche Pfade nicht gewöhnt sind. Und den Ritt über den gefährlichen
Weg hätte er nicht erklären müssen. Er hatte nämlich tatsächlich die Nachricht bekommen, mit einer neuen Wasserkunst, einer
Wasserhebemaschinerie, sei es vielleicht möglich, die Mine zu retten. Das hat Rosina später von ihrem Vater erfahren. Er konnte
also sagen, er habe dort nach dem Rechten sehen wollen. So wie er es auch Rosina gesagt hat. Die Mine hat Klemens Lenthes
Vater und so zu seinem Erbe gehört.»
«Dann war er also doch vermögend?», fragte Baumeister Sonnin, der absolut nichts von Geld verstand und sich im Gewirr der
Erbschaften nun nicht mehr zurechtfand.
«Überhaupt nicht.» Helena seufzte, um Geduld bemüht. «Das hat er wohl nur behauptet, um kein Misstrauen entstehen zu lassen.
Außerdem war er so sicher, bald reich zu sein, es muss ihm leichtgefallen sein, schon im Voraus so zu tun. Sein Vater starb
arm, deshalb hat dessen Bruder, also Rosinas Vater, sich des einzigen Sohnes und der Witwe angenommen. Obwohl die beiden Brüder
sich vor langer Zeit um die Minen zerstritten hatten. Klemens’ Vater hatte behauptet, sein Bruder habe ihn übervorteilt, ihm
die tauben Minen zugeschoben und dafür gesorgt, dass er selbst die ertragreichen bekam. Wahrscheinlichstimmt das, und Monsieur Lenthe wollte sein schlechtes Gewissen beruhigen und gewiss auch seine Einsamkeit vertreiben, als
er Klemens wie einen Sohn aufnahm. Der wiederum fand, dass einzig ihm das Erbe zustehe. Nämlich als der Reichtum, um den sein
Vater und damit er betrogen worden waren, wie er jedenfalls fand. Ja, und dann fiel dem kranken alten Mann plötzlich ein,
dass er eine Tochter hat, mit der er sich liebend versöhnen will, bevor er vor seinen strengen Herrgott tritt.»
«Klemens erbot sich sofort, sie zu suchen», fuhr nun Jean mit dem Bericht fort. «Er muss gewusst haben, dass es zu riskant
ist, sie einfach ‹nicht zu finden›, also beschloss er, sie zu töten. Was an sich schon ungeheuerlich ist, aber die Heimtücke
seines Plans, wäre er nicht – nun ja, eben perfide –, man müsste sagen: magnifique!»
«Das muss man überhaupt nicht», fuhr Helena auf. «Überhaupt nicht! Allein der Gedanke!! Ich hoffe, Madame Bachs Vermutung
stimmt und ein mächtiger, äußerst schlecht gelaunter Bär hat ihn gefunden.»
Madame Bach nickte zustimmend, wobei sie auch nichts gegen drei hungrige Wölfe einzuwenden gehabt hätte.
«Und nun?», fragte sie, nach so viel Bestätigung nicht mehr im Geringsten schüchtern, obwohl sie nie zuvor mit einem Paar
fahrender Komödianten geplaudert, geschweige denn zu Tisch gesessen hatte. «Was ist nun mit Mademoiselle Rosina?»
«Christian, mein Großneffe, und Filippo, der Akrobat der Becker’schen Gesellschaft, haben sie nach Hause begleitet», erklärte
Augusta. «Christian ist bald weitergeritten, weil er sich bei dieser Gelegenheit ein wenig in Leipzig umsehen wollte. Er hoffte,
noch rechtzeitig zurOstermesse dort einzutreffen. Filippo ist bei Rosina im Anwesen ihres Vaters nahe bei Hardenstein geblieben. Sie hatte die
traurige Pflicht, ihm und ihrer Tante von den Untaten und vom Schicksal ihres Cousins zu berichten. Nun ja. Sie schreibt aber
nichts darüber, sicher war es zu schmerzlich, und – ich muss es wirklich bedauern, weil es doch eine sehr anrührende Geschichte
sein muss – leider schreibt sie auch nur wenig über das Wiedersehen mit ihrem Vater. Es muss ebenfalls recht schmerzlich gewesen
sein, ganz besonders unter diesen schrecklichen Umständen.»
«Unbedingt», rief Jean und stützte beide Hände auf den Tisch, wie er es gerne tat, wenn er zu einer längeren Erläuterung brisanter
Neuigkeiten anhub. Leider traf ihn genau in diesem Moment ein scharfer Blick seiner Frau, und bevor er den ignorieren konnte,
fiel sie ihm schon ins Wort: «In ihrem letzten Brief, es waren leider nur ein paar Zeilen, schrieb sie, ihr Vater sei gestorben,
in Frieden, das betonte sie, und es gebe nun viel zu tun, seinen Nachlass zu richten. So hat sie sich ausgedrückt: zu richten.
Sehr seltsam.»
Und weil nun eine angeregte, gleichwohl mit größter Behutsamkeit – Geld
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