Die ungehorsame Tochter
der Letzte an einem Seil mit sich.
Das Seil, sagte der Köhler, als er bei der Vesper die erstaunlichen Ereignisse dieses einen Tages mit seinen Gehilfen besprach,
hätten sie sich sparen können. Es sah schon ganz zersplissen aus, ein Ruck des starken Pferdehalses, und es zerreiße wie ein
Faden aus billigster preußischer Seide.
KAPITEL 13
SONNTAG, DEN 6. AUGUSTUS,
NACHMITTAGS
Im Herrmanns’schen Haus am Neuen Wandrahm herrschte in den letzten Wochen eine geradezu gespenstische Stille, und Augusta
Kjellerup langweilte sich außerordentlich. Auch Domina Mette van Dorting, gefürchtete Feindin ihrer Jugend und zunehmend vertraute
Freundin ihres Alters, hatte die Stadt verlassen. Von zwei Konventualinnen des Johannisklosters begleitet, war sie zur Trinkkur
nach Bad Pyrmont gereist. Sie selbst halte eine solche Zeit der Untätigkeit selbstverständlich für überflüssig und reine Zeitverschwendung,
war die Ehrwürdige Jungfrau Domina nicht müde geworden zu betonen, Mademoiselle Meyerinks strapazierte Nerven jedoch bedürften
unbedingt des schwefeligen Wassers, sie sei aber leider nicht in der Lage, alleine zu reisen. Und die kugelrunde Mademoiselle
Pollermann, berüchtigt für ihre unverwüstliche Konstitution und Munterkeit, sei als Ausgleich für die Mimoserei der Meyerink
unverzichtbar.
Die Stadt brütete unter der Hitze des Hochsommers. Selbst die Konzerte am Valentinskamp und bei Monsieur Bach, dem allseits
verehrten Compositeur und Kantor, waren abgesagt worden, weil sich sowieso niemand freiwillig in die aufgeheizten kleinen
Säle begeben hätte. Außer Augusta vielleicht. Nicht weil ihre Liebe zur Musik so groß gewesen wäre, dass sie dafür einen schwerenFall von Schlagfluss riskiert hätte, das ganz gewiss nicht. Aber es war doch sehr hübsch, etwas anderes zu hören als die alltäglichen
Kirchenmusiken, und vor allem – Musik hin oder her – empfand sie die Plaudereien und Beobachtungen in den Pausen als ungemein
erbaulich. Bei aller Kunstsinnigkeit der Hanseaten und besonders der Hanseatinnen – wer außer den von steter Leidenschaft
und der Pein der Empfindsamkeit gequälten jugendlichen Seelen besuchte solcherart Darbietungen schon wegen der erhebenden
Musik?
So war Augusta in den Garten nach Harvestehude geflüchtet. Da lebte es sich zwar noch friedlicher als in der Stadt, doch wenigstens
stieg dort nicht der Gestank von Moder und Fäulnis aus den Fleeten auf, sondern der Duft von Annes vorzüglichen Rosen und
des stets frischen Wassers des Alstersees.
Im Herrmanns’schen Garten, seit Anne fort war von Gärtner Kampe besonders liebevoll gepflegt, stand die Pracht des hohen Sommers
in voller Blüte. Phlox, Gilbweiderich und Ringelblumen, dunkelblauer Eisenhut, Sternblumen, Zinnien und Löwenmäulchen konkurrierten
mit der Fülle der Rosen. Nahe der wärmenden Hauswand gediehen zartvioletter Lavendel und weißer Eibisch, und im flachen Uferwasser
des Sees blühten noch delikat wie Porzellan die Seerosen. Und nun im August, darauf spekulierte Augusta, füllte sich ein so
üppig blühender Garten leichter mit Besuchern als ein leeres, stickiges Haus.
Für diesen Nachmittag hatte sie sich nicht auf den Zufall und die unberechenbaren Launen potenzieller Gäste verlassen, sondern
den Pferdejungen mit Einladungen nach Altona und in die Neustadt geschickt. BaumeisterSonnin, da war sie sicher, würde es wie Monsieur Lessing und anders als die meisten anderen Freunde des Hauses Herrmanns höchst
unterhaltsam finden, einen Nachmittag mit einigen Mitgliedern der Becker’schen Komödiantengesellschaft zu verbringen. Dass
plötzlich auch Kantor Bach mit seiner Gattin am Gartenzaun stand und seine Aufwartung machen wollte, hatte nur Elsbeth in
der Küche in Aufregung versetzt. Sie musste nun für zwei hungrige Mäuler mehr zaubern, was bei der Bouillon mit Suppen-Biscuits,
dem Kalbsfricassée mit Caroliner Reis und dem Mirabellenkompott weniger, dafür bei den jungen Hühnern mit Stachelbeersauce
umso mehr ein Problem war.
Tatsächlich war der Kantor an diesem Nachmittag der Einzige in Augustas Runde, der nichts von Rosinas Existenz, geschweige
denn von ihrem mörderischen Abenteuer wusste. Ohne Zweifel hatte er davon gehört, es aber für sich als Räuberpistole bezeichnet
und umgehend vergessen. Er genoss den Duft des Gartens und den freundlichen Halbschatten der Robinie, unter der Augusta den
Tisch hatte decken lassen, und beobachtete
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