Die Ungetroesteten
Straßenbiegung, wieder weg. Dann hörte ich Sophie sagen: »Was glaubst du, wie viele Leute werden da sein?«
»Bei dem Empfang?« Ich zuckte mit den Schultern. »Woher soll ich das wissen? Also, ich muß schon sagen, du regst dich ja mächtig auf wegen dieser Sache. Es ist doch nur ein Empfang, weiter nichts.«
Sophie schaute weiter aus dem Fenster. Dann sagte sie: »Von den Leuten heute abend. Viele werden dieselben sein wie seinerzeit bei dem Rusconi-Bankett. Deshalb bin ich so nervös. Ich dachte, das wäre dir klar.«
Ich versuchte, mich an das Bankett zu erinnern, das sie gerade erwähnt hatte, doch der Name sagte mir nichts.
»Damals war ich in diesen Dingen schon so viel besser geworden«, fuhr Sophie fort. »Bis dann diese Leute so schrecklich zu mir waren. Davon habe ich mich immer noch nicht richtig erholt. Und ganz bestimmt sind viele von den Leuten heute abend wieder da.«
Ich versuchte immer noch erfolglos, mich an dieses Bankett zu erinnern. »Willst du damit sagen, daß man sich dir gegenüber tatsächlich unhöflich benommen hat?«
»Unhöflich? Tja, ich nehme an, so könnte man es nennen. Auf jeden Fall haben sie es geschafft, daß ich mir klein und erbärmlich vorgekommen bin. Ich hoffe inständig, es sind heute abend nicht wieder dieselben Leute.«
»Wenn heute abend jemand unhöflich dir gegenüber ist, dann kommst du und sagst es mir. Und was mich betrifft, kannst du dann zu ihnen so unhöflich sein, wie du willst.«
Sophie drehte sich um und schaute nach Boris auf dem Rücksitz. Nach einer Weile merkte ich, daß der Junge eingeschlafen war. Sophie beobachtete ihn noch einen Augenblick, dann drehte sie sich wieder zu mir um.
»Wieso fängst du jetzt damit wieder an?« fragte sie mit völlig veränderter Stimme. »Du weißt doch, wie sehr ihn das aufregt. Aber du fängst wieder damit an. Wie lange willst du diesmal damit weitermachen?«
»Womit denn weitermachen?« fragte ich müde. »Wovon sprichst du denn jetzt wieder?«
Sophie starrte mich einen Moment lang an, dann drehte sie sich weg. »Du begreifst das einfach nicht«, sagte sie wie zu sich selbst. »Für so was haben wir eben keine Zeit. Du begreifst das einfach nicht, stimmt es?«
Ich spürte, daß meine Geduld am Ende war. All das Durcheinander, dem ich den ganzen Tag über ausgesetzt gewesen war, fiel mir wieder ein, und so sagte ich laut:
»Also hör mal, woher nimmst du dir eigentlich das Recht, die ganze Zeit so an mir herumzunörgeln? Vielleicht ist es dir ja noch nicht aufgefallen, aber ich stehe zur Zeit zufällig unter sehr großem Druck. Aber statt mir zu helfen, kannst du nur nörgeln, nörgeln und nochmals nörgeln. Und jetzt scheinst du darauf hinzuarbeiten, mich bei diesem Empfang im Stich zu lassen. Wenigstens sieht es so aus, als wolltest du schon den Grundstein dafür legen...«
»Na schön! Dann kommen wir eben nicht mit hinein! Boris und ich werden im Wagen warten. Du kannst ganz allein hingehen!«
»Das ist doch nun wirklich nicht nötig. Ich habe doch nur gesagt...«
»Nein, ich meine das ganz im Ernst. Du kannst allein hingehen. So werden wir dich wenigstens nicht im Stich lassen können.«
Danach fuhren wir ein paar Minuten lang weiter, ohne ein Wort miteinander zu reden. Schließlich sagte ich:
»Also, komm schon, es tut mir leid. Es wird wahrscheinlich alles gutgehen beim Empfang. Ja, eigentlich bin ich mir sogar sicher, daß es gutgehen wird.«
Sie antwortete nicht. Schweigend fuhren wir weiter, und immer, wenn ich sie anschaute, sah ich sie mit leerem Blick auf den roten Wagen in der Ferne starren. Ein merkwürdiges Gefühl der Panik stieg allmählich in mir hoch, bis ich schließlich sagte:
»Ach, komm schon. Selbst wenn es heute abend nicht so gut läuft, na ja, das... das macht doch nichts. Ich meine, das spielt doch im Grunde gar keine Rolle. Es gibt doch keinen Grund, daß wir uns so albern benehmen.«
Sophie starrte weiterhin auf den roten Wagen. Dann sagte sie: »Sehe ich so aus, als hätte ich zugenommen? Sag mal ganz ehrlich.«
»Nein, überhaupt nicht. Du siehst phantastisch aus.«
»Aber es stimmt. Ich habe ein bißchen zugenommen.«
»Das macht nichts. Was auch immer heute abend geschieht, es spielt keine Rolle. Schau, wir haben keinen Grund, uns Sorgen zu machen. Bald werden wir alles haben. Ein Haus, einfach alles. Also, wir haben keinen Grund, uns Sorgen zu machen.«
Während ich das sagte, erinnerte ich mich allmählich vage an das Bankett, das sie vorhin erwähnt hatte.
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