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Die Ungetroesteten

Titel: Die Ungetroesteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kazuo Ishiguro
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dazu etwas sagen, doch am anderen Ende der Leitung herrschte Schweigen. Ich lachte kurz auf und fuhr fort: »Aber natürlich sind wir jetzt gerade auf dem Weg zur Galerie Karwinsky. Ich meine, wir sind in diesem Augenblick tatsächlich mitten auf der Fahrt dorthin. Selbstverständlich wollten wir früh genug dort ankommen, und ich muß sagen, wir freuen uns schon alle sehr darauf. Die Gegend um die Galerie Karwinsky herum ist, so hat man mir gesagt, wirklich wunderschön. Ja, wir sind sehr froh, auf dem Weg dorthin zu sein.«
    »Das freut mich aber sehr, Mr. Ryder.« Miss Stratmanns Stimme klang etwas verunsichert. »Ich hoffe wirklich, Sie genießen den Abend.« Dann sagte sie plötzlich: »Also, Mr. Ryder, ich hoffe, wir haben Sie nicht gekränkt.«
    »Mich gekränkt?«
    »Wir haben damit bestimmt nichts andeuten wollen. Ich meine, mit dem Vorschlag, daß Sie heute vormittag der Gräfin einen Besuch abstatten sollen. Wir wußten ja alle, daß Sie durch und durch vertraut mit Mr. Brodskys Werk sind, niemand würde je etwas anderes annehmen. Es ist nur so, daß einige dieser Aufnahmen wirkliche Raritäten sind, und die Gräfin wie auch Herr von Winterstein haben gedacht... O je, ich hoffe wirklich, Sie sind nicht gekränkt, Mr. Ryder! Wir haben damit ganz bestimmt nichts andeuten wollen.«
    »Ich bin keineswegs gekränkt, Miss Stratmann. Im Gegenteil, meine Sorge war, die Gräfin und Herr von Winterstein könnten gekränkt sein, weil ich nicht kommen konnte...«
    »Ach, darüber brauchen Sie sich wirklich keine Gedanken zu machen, Mr. Ryder.«
    »Ich hätte sie so gern kennenlernen und mit ihnen reden wollen, aber als es mir die Umstände unmöglich machten, alles zu erledigen, was wir ursprünglich gehofft hatten, dachte ich mir, sie würden Verständnis dafür haben, zumal es ja, wie Sie sagen, für mich keine wirkliche Veranlassung gab, mir Mr. Brodskys Aufnahmen anzuhören...«
    »Oh, Mr. Ryder, ich bin sicher, die Gräfin wie auch Herr von Winterstein haben vollstes Verständnis für die Situation. Auf jeden Fall war es, und das sehe ich jetzt, wirklich vermessen von uns, so etwas zu organisieren, besonders da Ihre Zeit so begrenzt ist. Ich hoffe wirklich, Sie sind nicht gekränkt.«
    »Ich versichere Ihnen, ich bin keineswegs gekränkt. Aber eigentlich, wenn Sie erlauben, Miss Stratmann, habe ich angerufen, um noch einige Punkte, ich meine, einige andere Punkte meines Terminplans mit Ihnen zu besprechen.«
    »Ja, Mr. Ryder?«
    »Zum Beispiel mein Besuch im Konzertsaal, um dort alles zu inspizieren.«
    »Ah ja.«
    Ich wartete ab, um zu sehen, ob sie nicht noch etwas sagen würde, aber als sie nichts sagte, fuhr ich fort: »Ja, ich wollte mich einfach nur noch einmal davon überzeugen, ob für meine Ankunft auch alles vorbereitet ist.«
    Endlich reagierte Miss Stratmann auf den besorgten Unterton in meiner Stimme. »Ach, natürlich«, sagte sie. »Jetzt verstehe ich, was Sie meinen. Ich habe nicht gerade viel Zeit für Ihren Besuch dort eingeplant. Aber wie Sie sehen« – sie schwieg, und ich hörte das Rascheln von Papier -, »wie Sie sehen, haben Sie jeweils vor und nach Ihrem Besuch im Konzertsaal diese zwei äußerst wichtigen Termine. Deshalb habe ich gedacht, wenn wir Sie irgendwo ein wenig hetzen und drängen können, dann dort im Konzertsaal. Sie könnten später immer noch einmal dorthin, wenn das wirklich nötig sein sollte. Dagegen können wir es uns einfach nicht leisten, verstehen Sie, einem der beiden anderen Termine weniger Zeit einzuräumen. Da ist zum Beispiel das Treffen mit der Bürger-Selbsthilfe, ich weiß, wieviel Wert Sie darauf legen, den einfachen Menschen, den Betroffenen selbst zu begegnen...«
    »Ja, natürlich, da haben Sie ganz recht. Ich stimme vollkommen überein mit dem, was Sie da sagen. Wie Sie ganz richtig bemerkt haben, kann ich zu einem späteren Zeitpunkt immer noch einmal Zeit für einen Besuch im Konzertsaal abzweigen. Ja, ja. Es ist ja bloß, daß ich mir ein wenig Gedanken gemacht habe wegen der, äh, wegen der Vorkehrungen. Für meine Eltern, meine ich.«
    Wieder herrschte Schweigen am anderen Ende der Leitung. Ich räusperte mich und fuhr fort:
    »Ich meine, wie Sie ja wissen, befinden sich meine Mutter und mein Vater in bereits vorgerücktem Alter. Im Konzertsaal werden besondere Annehmlichkeiten für sie nötig sein.«
    »Ja, ja, natürlich.« Miss Stratmann klang leicht verwirrt. »Und medizinische Betreuung in der Nähe, für den Fall unglücklicher Vorkommnisse.

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