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Die Ungetroesteten

Titel: Die Ungetroesteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kazuo Ishiguro
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nicht so schlimm finden, es ist ja nicht so, daß sie im Moment nichts zu tun hätten, aber inzwischen sind sie alle derart nervös, weil sie denken, daß er wohl jeden Augenblick auftauchen könnte. Und natürlich kommt Herr Schmidt andauernd vorbei und schreit sie an, sie sollten endlich saubermachen, was wäre, wenn er jetzt käme und den Städtischen Konzertsaal so vorfinden würde? Dieter sagt, sie sind alle ganz angespannt, selbst dieser Edmundo. Und mit diesen Genies kann man ja nie wissen, was sie sich herauspicken werden, um daran herumzukritteln. Sie können sich alle noch an die Zeit erinnern, als Igor Kobyliansky kam, um alles zu inspizieren, jede Kleinigkeit hat er pingeligst überprüft. Wie er auf alle viere hinunterging, während die anderen alle auf der Bühne in einem großen Kreis um ihn herumstanden, wie sie ihm alle zusahen, während er herumkroch, die Dielenbretter abklopfte und sogar das Ohr an den Fußboden legte. Während der vergangenen zwei Tage ist Dieter einfach nicht er selbst gewesen, dauernd ist er so gereizt, wenn er sich auf den Weg zur Arbeit macht. Es ist für sie alle ganz furchtbar. Immer wenn er nicht zur verabredeten Zeit erscheint, warten sie eine Stunde oder so und rufen dann wieder bei dieser Stratmann an. Sie ist immer ganz zerknirscht, hat immer jede Menge Entschuldigungen parat und macht dann eine andere Zeit mit ihnen aus.«
    Als ich das hörte, kam mir wieder ein Gedanke, der mir während der vergangenen Stunden wiederholt durch den Kopf gegangen war: daß es nämlich durchaus vernünftig wäre, wenn ich mich öfter mit Miss Stratmann in Verbindung setzte, als ich das bisher getan hatte. Tatsächlich erschien es mir gar nicht so abwegig, sie von einem der öffentlichen Fernsprecher anzurufen, die ich in dem Eingangsbereich gesehen hatte. Doch bevor ich diesem Gedanken noch weiter nachgehen konnte, fuhr die Frau fort:
    »Und das alles, nachdem diese Stratmann wochenlang immer wieder betont hat, daß er unbedingt alles inspizieren wolle, daß er sich nicht nur um die Akustik und all die üblichen Dinge kümmern müsse, sondern auch um seine Eltern und darum, wie sie an dem Abend in dem Saal untergebracht werden. Offensichtlich geht es ihnen beiden nicht mehr so gut, sie brauchen also besondere Sitze, besondere Annehmlichkeiten, sie brauchen ausgebildete Leute in der Nähe, falls einer der beiden einen Herzanfall hat oder so etwas. Die nötigen Vorkehrungen sind recht kompliziert, und nach dem, was diese Stratmann sagt, wollte er mit dem Personal unbedingt jedes einzelne Detail durchsprechen. Tja, das war ja ganz rührend, wie er sich angeblich so um seine alten Eltern sorgt. Aber dann, nicht wahr, läßt er sich einfach nicht blicken! Natürlich könnte es auch eher an dieser Stratmann liegen und nicht an ihm. Dieter denkt das jedenfalls. Nach allem, was man so hört, hat er ja einen ausgezeichneten Ruf, er scheint einfach nicht der Typ zu sein, der den Leuten solche Unannehmlichkeiten bereitet.«
    Ich hatte mich zunehmend über die Frauen geärgert und war deshalb natürlich erleichtert, diese letzten Bemerkungen zu hören. Aber was sie über meine Eltern gesagt hatten – daß man ihretwegen verschiedene besondere Vorkehrungen treffen mußte -, überzeugte mich davon, daß ich das Telefonat mit Miss Stratmann keine Sekunde länger aufschieben durfte. Ich stellte mein Tablett auf der Theke ab und ging schnell in den Eingangsbereich.
    Ich trat in eine Telefonzelle und suchte in meinen Taschen nach Miss Stratmanns Visitenkarte. Nach einer Weile fand ich sie und wählte die Nummer. Sofort nahm Miss Stratmann selbst den Hörer ab.
    »Ach, Mr. Ryder, wie schön, daß Sie anrufen. Ich freue mich ja so, daß alles so gut läuft.«
    »Aha. Sie meinen also, es läuft alles gut.«
    »O ja, phantastisch! Sie sind überall ein voller Erfolg. Die Leute sind derart begeistert. Und Ihre Rede nach dem Diner gestern abend, ach, alle Welt spricht davon, wie witzig und amüsant die Rede war. Es ist so angenehm, wenn ich das einfach so sagen darf, mit jemandem wie Ihnen zu arbeiten.«
    »Tja, danke, Miss Stratmann. Sehr freundlich von Ihnen. Und für mich ist es sehr angenehm, daß man sich so gut um mich kümmert. Ich habe Sie angerufen, weil ich, äh, einige Punkte meines Terminplans noch einmal mit Ihnen durchgehen wollte. Natürlich gab es heute einige unvermeidliche Verzögerungen, die zu mißlichen Konsequenzen geführt haben.«
    Ich schwieg, weil ich hoffte, Miss Stratmann würde

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