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Die Ungetroesteten

Titel: Die Ungetroesteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kazuo Ishiguro
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sagte er: »Man hat mir geraten, so etwas zu tragen. Das haben mir die Leute geraten, die mir helfen wollen. Ich soll wieder Dirigent sein. Ich muß mich so kleiden, daß die Leute mich wieder als Dirigenten sehen.«
    »Das hätte ich Ihnen beinahe schon gestern im Zoo gesagt. Dieser lächerliche graue Mantel! Wer hat Ihnen nur gesagt, daß Sie so etwas anziehen sollen? Herr Hoffman? Also wirklich, Sie sollten ein bißchen mehr Sinn für Ihre äußere Erscheinung an den Tag legen. Diese Leute staffieren Sie aus wie irgendeine Puppe, und Sie lassen das einfach zu. Und sehen Sie sich jetzt nur an! Dieser lächerliche Anzug. Glauben Sie etwa, darin sehen Sie aus wie ein Künstler?«
    Brodsky sah an sich herunter, sein Blick verriet, wie verletzt er war. Dann schaute er hoch und sagte: »Du bist eine alte Frau. Du hast keine Ahnung von der heutigen Mode.«
    »Es ist das Vorrecht der Alten, die Kleidung der Jungen zu mißbilligen. Aber wie lächerlich, daß ausgerechnet Sie sich jetzt so kleiden. Wirklich, das ist völlig absurd, das ist doch einfach nicht Ihr Stil. Offen gesagt, ich glaube, die Stadt würde Sie lieber in dem sehen, was Sie noch vor ein paar Monaten getragen haben. Mit anderen Worten, in sehr eleganten Lumpen.«
    »Mach dich nicht lustig über mich. So bin ich doch jetzt nicht mehr. Bald bin ich womöglich wieder Dirigent. Das ist jetzt mein Stil. Als ich mich angeschaut habe, dachte ich, jetzt sehe ich richtig aus. Du vergißt wohl, in Warschau habe ich auch solche Kleidung getragen. Und so eine Fliege. Das hast du wohl vergessen.«
    Für einen Augenblick trat ein trauriger Ausdruck in die Augen von Miss Collins. Dann sagte sie:
    »Natürlich habe ich das vergessen. Wieso sollte ich mich an so etwas erinnern? In den Jahren seit damals hat es viele weitaus lebendigere Dinge gegeben, an die ich mich lieber erinnern möchte.«
    »Dein Kleid«, sagte er plötzlich. »Das ist sehr schön. Sehr elegant. Aber deine Schuhe sind wie immer eine Katastrophe. Du hast nie einsehen wollen, daß du zwar dünn bist, aber überaus dicke Knöchel hast. Guck doch, sogar jetzt.« Er deutete auf die Füße von Miss Collins.
    »Seien Sie nicht so kindisch. Glauben Sie etwa, es ist immer noch so wie in Warschau, als Sie mich schon mit so einer Bemerkung dazu bringen konnten, mich nur Minuten vor dem Ausgehen komplett umzuziehen! Wie sehr Sie doch noch in der Vergangenheit leben, Mr. Brodsky! Glauben Sie denn wirklich, daß es mich auch nur im mindesten interessiert, was Sie von meinen Schuhen halten? Und glauben Sie wirklich, daß ich nicht längst begriffen habe, daß das damals alles nur ein Trick gewesen ist, wenn Sie bis zum allerletzten Moment gewartet haben, um Ihre Kritik anzubringen? Natürlich, damals habe ich mich dann umgezogen und bin in Kleidern ausgegangen, die ich mir in fürchterlicher Eile übergeworfen hatte. Und erst wenn wir schon im Auto saßen oder vielleicht sogar schon im Konzertsaal waren, erst da ist mir dann eingefallen, daß die Farbe meines Lidschattens nicht zu dem Kleid paßte oder die Halskette entsetzlich zu den Schuhen aussah. Und damals war das alles für mich so wichtig. Die Frau des Dirigenten! Es war so wichtig für mich, und Sie wußten das. Ja glauben Sie denn, ich hätte mittlerweile nicht begriffen, was Sie damals getan haben? Wie Sie dann immer sagten: ›Gut, gut, sehr hübsch‹, bis wir nur noch ein paar Minuten hatten, bevor wir aus dem Haus mußten. Dann, ja, dann kam immer ungefähr so etwas: ›Deine Schuhe sind eine Katastrophe!‹ Als wenn Sie eine Ahnung von diesen Dingen hätten! Was wissen Sie denn schon über die Mode von heute, Sie sind doch während der vergangenen zwanzig Jahre ständig betrunken gewesen.«
    »Und trotzdem«, sagte Brodsky jetzt mit herrischer Miene, »und trotzdem habe ich recht. Mit diesen Schuhen wirkt die untere Hälfte deines Körpers einfach grotesk. Ganz im Ernst.«
    »Sehen Sie sich doch nur diesen lächerlichen Anzug an! Ein italienisches Modell, nehme ich an. Die Art Kreation, die ein junger Ballettänzer tragen würde. Und Sie glauben, das wird Ihnen in den Augen der Leute hier wieder zu Glaubwürdigkeit verhelfen?«
    »Alberne Schuhe. Du siehst aus wie einer von diesen Spielzeugsoldaten, die auf diesen kleinen Sockeln stehen, damit sie nicht umfallen.«
    »Es ist höchste Zeit, daß Sie gehen! Wie können Sie es wagen, so hierherzukommen und meinen Vormittag durcheinanderzubringen! Das Paar da drinnen ist ganz verwirrt, die beiden jungen

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