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Die Ungetroesteten

Titel: Die Ungetroesteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kazuo Ishiguro
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»Aber wir haben so wenig Zeit«, entgegnete er. »Wir können es uns nicht leisten, jetzt Zeit zu verschwenden.«
    »Was meinen Sie damit, Mr. Brodsky? Es ist ziemlich lächerlich, daß Sie einfach so hier auftauchen. Sie müssen doch wissen, daß ich vormittags immer sehr beschäftigt bin.«
    »Bitte.« Er hob defensiv die Hand. »Bitte. Wir sind jetzt alt. Wir müssen uns nicht mehr so streiten wie früher. Ich bin nur vorbeigekommen, um dir die Blumen zu bringen. Und um einen einfachen Vorschlag zu machen. Das ist alles.«
    »Einen Vorschlag? Was denn für einen Vorschlag, Mr. Brodsky?«
    »Einfach nur, daß du dich heute nachmittag mit mir auf dem Sankt-Peter-Friedhof triffst. Für eine halbe Stunde, nicht länger. Damit wir einmal unter uns sind und über einige Dinge reden können.«
    »Aber da gibt es nichts zu reden. Es war eindeutig ein Fehler, daß ich gestern in den Zoo gekommen bin. Und haben Sie Friedhof gesagt? Ist das etwa der geeignete Treffpunkt für ein Rendezvous? Sind Sie vollkommen übergeschnappt? Ein Restaurant, ein Café, vielleicht irgendein Park oder ein See. Aber Sie schlagen einen Friedhof vor!«
    »Tut mir leid.« Brodsky schien aufrichtig bestürzt. »Ich habe nicht nachgedacht. Ich hatte es vergessen. Das ist es, ich hatte vergessen, daß der Sankt-Peter-Friedhof ein Friedhof ist.«
    »Seien Sie nicht albern.«
    »Ich meine, ich bin so oft dort gewesen, wir haben es da immer als so friedlich empfunden, Bruno und ich. Selbst wenn alles zum Schlimmsten stand, habe ich mich dort gar nicht so schlecht gefühlt, es war friedlich, es war wunderschön, uns hat es da immer gut gefallen. Deshalb habe ich gefragt. Wirklich, ich hatte es vergessen. Daß da all die Toten sind.«
    »Und was sollen wir da Ihrer Meinung nach tun? Auf einer Grabplatte sitzen und alten Zeiten nachhängen? Sie sollten wirklich sorgfältiger über Ihre Vorschläge nachdenken, Mr. Brodsky.«
    »Aber uns hat es da immer so gut gefallen, Bruno und mir. Ich dachte, dir würde es auch gefallen.«
    »Ach, ich verstehe. Jetzt, wo Ihr Hund gestorben ist, wollen Sie, daß ich seine Stelle einnehme.«
    »So habe ich das nicht gemeint.« Plötzlich verschwand die Schüchternheit aus Brodskys Augen, und ein Anflug von Ungeduld zeigte sich in seiner Miene. »So habe ich das überhaupt nicht gemeint, und das weißt du auch. Das ist wieder mal typisch. Ich habe viel Zeit darauf verwendet, mir etwas zu überlegen, habe versucht, etwas Schönes für uns zu planen, und du, du verschmähst es, du lachst darüber, du machst es lächerlich. Bei jedem anderen hättest du gesagt, was für eine zauberhafte Idee. Typisch. Es ist wie damals, als ich für uns Plätze in der ersten Reihe bei dem Kobyliansky-Konzert bekommen hatte...«
    »Das ist jetzt über dreißig Jahre her. Wie kannst du immer noch über so etwas reden?«
    »Aber es ist genau dasselbe, genau dasselbe. Ich denke mir etwas aus, etwas Schönes für uns, weil ich tief in meinem Innern weiß, daß du es magst, wenn etwas ein wenig ungewöhnlich ist. Und dann lachst du einfach nur darüber. Vielleicht liegt das daran, daß meine Einfälle, wie die Sache mit dem Friedhof, dich in Wirklichkeit, tief in deinem Innern, sehr ansprechen und du erkennst, daß ich deine Gefühle verstehe. Also tust du so, als...«
    »Das ist doch Unsinn. Es gibt für uns doch absolut keine Veranlassung, über solche Dinge zu reden. Dazu ist es viel zu spät, da gibt es nichts mehr zu reden, Mr. Brodsky. Ich kann mich deshalb nicht mit Ihnen auf einem Friedhof treffen, ob mich das jetzt anspricht oder nicht, weil ich nichts mit Ihnen zu bereden habe...«
    »Ich wollte doch nur alles erklären. Wieso es passiert ist, alles erklären, weshalb ich so gewesen bin, wie ich war...«
    »Dazu ist es wirklich viel zu spät, Mr. Brodsky. Mindestens zwanzig Jahre zu spät. Übrigens könnte ich es gar nicht ertragen zu hören, wie Sie wieder anfangen wollen, sich zu entschuldigen. Ich bin davon überzeugt, daß ich selbst heute keine Entschuldigung von Ihren Lippen hören könnte, ohne zu erschauern. Viele, viele Jahre lang bedeuteten Entschuldigungen von Ihnen nicht das Ende, sondern erst den Anfang. Den Anfang einer weiteren Folge von Schmerz und Demütigung. Ach, weshalb lassen Sie mich nicht endlich einfach in Ruhe? Es ist eben zu spät. Übrigens haben Sie sich angewöhnt, sich wirklich absurd zu kleiden, seit Sie trocken sind. Was ist das für eine Kleidung, die Sie da plötzlich tragen?«
    Brodsky zögerte, dann

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