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Die Ungetroesteten

Titel: Die Ungetroesteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kazuo Ishiguro
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unfreundlich, das nicht, aber sie sah mich an, und es war dieser bestimmte Blick. Der Blick eines Menschen, der mit den Augen bestätigt, was er denkt. Ja, das war es, und da wußte ich, daß sie mich endlich durchschaut hatte. Und da begriff ich dann auch, begriff, was für eine Anspannung das gewesen war. Ich hatte gewartet, die ganze Zeit über, ich hatte genau auf diesen Augenblick gewartet. Und wissen Sie, es mag Ihnen merkwürdig erscheinen, aber es war eine immense Erleichterung. Endlich, endlich hatte sie mich durchschaut. Ach, was für eine Erleichterung! Ich fühlte mich so befreit. Ich rief tatsächlich ›Ha!‹ und lächelte. Das muß sie recht merkwürdig gefunden haben, und im nächsten Moment riß ich mich zusammen. Sofort begriff ich – ach ja, mein Gefühl des Befreitseins war nur allzu kurz -, sofort begriff ich, mit welchen neuen Ungeheuern ich fortan zu kämpfen hätte, und von einem Moment auf den anderen wurde ich vorsichtig. Ich sah ein, ich würde doppelt, dreifach so hart arbeiten müssen, wenn ich sie behalten wollte. Aber sehen Sie, damals habe ich immer noch gedacht, daß ich sie, wenn ich nur hart daran arbeitete, zurückerobern könnte, obwohl sie dahintergekommen war. Was für ein Dummkopf bin ich doch gewesen! Und wissen Sie, nach diesem Tag glaubte ich noch mehrere Jahre lang daran, es könne mir tatsächlich gelingen. Oh, ich habe alles sehr genau beobachtet. Ich habe alles in meiner Macht Stehende getan, um ihr eine Freude zu machen. Und nie habe ich in meiner Aufmerksamkeit nachgelassen. Mir war klar, daß ihr Geschmack, ihre Vorlieben sich im Lauf der Zeit bestimmt ändern würden, also habe ich auf jede Nuance geachtet, immer darauf vorbereitet, jegliche Änderung vorwegzunehmen. O ja, Mr. Ryder, ohne mich selbst loben zu wollen, ich habe meine Rolle als ihr Ehemann während jener Jahre ganz großartig gespielt. Wenn ein Komponist, den sie seit Jahren schon mochte, ihr allmählich nicht mehr so gefiel, griff ich das sofort auf, fast noch bevor sie selbst diese Veränderung angesprochen hatte. Wenn dann beim nächstenmal der Name des Komponisten fiel, sagte ich immer schnell, auch wenn sie erst noch sehr zögerte, ihren Zweifel zu äußern: ›Natürlich, er ist auch nicht mehr das, was er einmal war. Bitte, wir wollen uns gar nicht erst die Mühe machen, heute abend in das Konzert zu gehen. Du wirst dich langweilen.‹ Und dann wurde ich immer mit dem unmißverständlichen Ausdruck von Erleichterung auf ihrem Gesicht belohnt. O ja, ich war außerordentlich aufmerksam, und wie gesagt, Mr. Ryder, ich habe daran geglaubt. Ich habe mich selbst zum Narren gemacht, ich habe sie ja so geliebt, ich habe mich selbst zum Narren gemacht im Glauben, ich würde sie langsam zurückerobern. Ein paar wenige Jahre lang war ich meiner selbst tatsächlich sehr sicher. Und dann änderte sich alles, es änderte sich alles an einem einzigen Abend. Ich begriff, wie unvermeidlich das gewesen war, daß ich trotz all meiner großen Bemühungen am Ende vor dem Nichts stehen würde. Das begriff ich alles an einem einzigen Abend, Mr. Ryder. Wir waren bei Herrn Fischer eingeladen, er hatte einen kleinen Empfang für Jan Piotrowski im Anschluß an sein Konzert hier in der Stadt organisiert. Man hatte damals gerade angefangen, uns zu solchen Ereignissen einzuladen, ich hatte mir hier allmählich wegen meines weitreichenden Kunstverständnisses einen gewissen Respekt erworben. Nun ja, jedenfalls waren wir in Herrn Fischers Haus, in seinem vornehmen Salon. Keine große Versammlung, höchstens vierzig Personen, es war eigentlich ein sehr entspannter Abend. Ich weiß nicht, ob Sie Piotrowski je kennengelernt haben, Mr. Ryder. Er erwies sich tatsächlich als ein höchst angenehmer Mensch, außerordentlich geschickt darin, den Leuten ihre Befangenheit zu nehmen. Die Konversation floß leicht dahin, wir alle genossen den Abend sehr. Dann ging ich einmal zu dem Tisch hinüber, auf dem ein Buffet aufgebaut war, und ich war gerade dabei, mir ein paar Kleinigkeiten zu nehmen, als ich bemerkte, daß Piotrowski direkt neben mir stand. Ich war damals noch recht jung, ich hatte kaum Erfahrung im Umgang mit Prominenten, und ja, ich gebe es zu, ich war ein wenig nervös. Doch dann lächelte Piotrowski freundlich, fragte mich, ob ich den Abend genoß und nahm mir schnell meine Befangenheit. Und dann sagte er: ›Gerade habe ich mich mit Ihrer äußerst charmanten Gattin unterhalten. Sie hat mir von ihrer großen Liebe zu

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