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Die Ungetroesteten

Titel: Die Ungetroesteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kazuo Ishiguro
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etwas Derartiges angedeutet. Na ja, wie gesagt, Mr. Ryder, sie hat über die Sache kein Wort mehr verloren, kein einziges Wort. Wir haben dann bald geheiratet, haben eine kleine Wohnung am Friedrichplatz gekauft, ich habe eine gute Stellung im Hotel Ambassador gefunden. Wir haben unser gemeinsames Leben begonnen, und eine Zeitlang sind wir recht glücklich gewesen. Natürlich habe ich diese Sache... diese Sache mit dem Mißverständnis nicht vergessen. Aber ich habe mir darüber keine so großen Sorgen gemacht, wie Sie vielleicht meinen. Denn sehen Sie, wie ich schon sagte, ich hatte ja damals wirklich die Absicht, zu gegebener Zeit, bei sich bietender Gelegenheit, mit einem Instrument zu beginnen. Vielleicht Geige. Ich hatte damals gewisse Pläne, wie das nun einmal ist, wenn man jung ist, wenn man noch nicht erkannt hat, wie begrenzt die Zeit ist, wenn man noch nicht erkannt hat, daß sich um einen herum eine Muschelschale gebildet hat, eine harte Schale, so daß man nicht – heraus – kann!« Plötzlich nahm er beide Hände vom Lenkrad und riß sie hoch, gegen eine unsichtbare Kuppel um seinen Kopf. Die Geste war eher ein Zeichen von Müdigkeit als von Wut, und im nächsten Moment ließ er die Hände wieder auf das Lenkrad fallen. Mit einem Seufzer fuhr er fort: »Nein, davon hatte ich damals noch keine Ahnung. Ich hoffte immer noch, ich würde mit der Zeit die Art Mensch werden, die sie in mir sah. Ja, tatsächlich, Mr. Ryder, ich war überzeugt, es würde mir gelingen, gerade aufgrund ihrer Gegenwart, gerade aufgrund ihres Einflusses, solch ein Mensch zu werden. Und im ersten Jahr unserer Ehe, Mr. Ryder, waren wir, wie gesagt, recht glücklich. Wir haben diese Wohnung gekauft, sie genügte unseren Ansprüchen vollauf. Es gab Tage, da habe ich gedacht, sie hätte das mit dem Mißverständnis eingesehen und es würde ihr nichts ausmachen. Ich weiß nicht, alle möglichen Gedanken gingen mir damals durch den Kopf. Dann rückte natürlich im Lauf der Zeit das Datum näher, das ich genannt hatte, die Zweijahresfrist, nach deren Ablauf ich das Komponieren wieder hatte aufnehmen wollen, das Datum kam und ging vorüber. Ich beobachtete sie aufmerksam, doch sie verlor kein Wort darüber. Sie war sehr ruhig, das stimmt schon, aber ruhig war sie ja immer gewesen. Weder sagte noch tat sie irgend etwas Ungewöhnliches. Doch ich denke, daß von der Zeit an, von dem Moment, als die zwei Jahre um waren, diese Anspannung in unser Leben trat. Es war eine tiefe innere Anspannung, sie schien ständig dazusein, ganz gleich wie glücklich wir einen Abend auch verbringen mochten, sie war ständig da. Oft führte ich sie als kleine Überraschung in ihr Lieblingsrestaurant. Oder brachte ihr Blumen oder eines ihrer Lieblingsparfüms mit. Ja, ich habe mich voller Eifer der Aufgabe gewidmet, ihr immer wieder eine Freude zu machen. Aber da war ständig diese Anspannung. Eine ganze Weile gelang es mir, sie zu ignorieren. Ich sagte mir, ich würde mir das alles nur einbilden. Ich nehme an, ich wollte einfach nicht zugeben, daß diese Anspannung da war und mit jedem Tag wuchs. Erst an dem Tag, als die Anspannung verschwand, wußte ich mit Sicherheit, daß sie dagewesen war. Ja, sie verschwand, und da erst erkannte ich, was es gewesen war. Es war eines Nachmittags, wir waren damals seit drei Jahren verheiratet, ich bin von der Arbeit nach Hause gekommen, ich hatte ihr ein kleines Geschenk mitgebracht, einen Lyrikband, von dem ich zufällig wußte, daß sie ihn sich wünschte. Sie hatte das nicht ausdrücklich gesagt, aber ich hatte es mir gedacht. Ich betrat die Wohnung und fand sie vor, wie sie auf den Platz hinunterschaute. Um diese Zeit am Nachmittag konnte man die Leute beobachten, die von der Arbeit nach Hause gingen. Es war eine recht laute Wohnung, aber wenn man noch ziemlich jung ist, empfindet man das als nicht so schlimm. Ich gab ihr das Buch. ›Nur eine kleine Aufmerksamkeit‹, sagte ich zu ihr. Sie schaute weiter aus dem Fenster. Sie kniete auf dem Sofa, ihre Arme ruhten auf der Rückenlehne, so daß sie den Kopf darauf stützen konnte, während sie hinausschaute. Dann nahm sie mir recht gequält das Buch ab, und ohne ein Wort zu sagen schaute sie weiter auf den Platz hinunter. Ich blieb mitten im Zimmer stehen und wartete darauf, daß sie sich für mein Geschenk bedankte. Vielleicht fühlte sie sich nicht wohl. Einigermaßen besorgt stand ich da und wartete. Dann drehte sie sich schließlich um und sah mich an. Nicht

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