Die Ungetroesteten
Ryder! Er ist zur Verkörperung des einen großen Fehlers geworden, den sie in ihrem Leben gemacht hat. Ach, wenn Sie nur ihre Familie kennengelernt hätten! Als sie jung war, muß sie das immer angenommen haben. Sie muß geglaubt haben, daß sie eines Tages schöne, begabte Kinder haben würde. Empfänglich für alles Schöne, so wie sie selbst. Und dann hat sie diesen Fehler gemacht! Natürlich, als seine Mutter liebt sie Stephan über alles. Aber das heißt ja nicht, daß sie ihn nicht ansieht und dabei an ihren Fehler denkt. Er ist genauso wie ich, Mr. Ryder. Ich kann es nicht länger leugnen. Jetzt nicht mehr, wo er doch nun praktisch ein erwachsener Mann ist...«
»Aber Stephan ist ein hochbegabter junger Mann, Mr. Hoffman...«
»Sie müssen so etwas nicht sagen, Mr. Ryder! Bitte beleidigen Sie mit solch trivialen Höflichkeitsbekundungen nicht das rückhaltlose Vertrauen, das ich Ihnen entgegengebracht habe! Ich bin kein Dummkopf, ich sehe doch, wie es um Stephan steht. Eine Zeitlang war er meine einzige Hoffnung, jawohl, aber seitdem, seit ich eingesehen habe, daß es sinnlos ist, und wenn ich ehrlich bin, ich nehme an, ich habe das mindestens schon vor sechs oder sieben Jahren eingesehen, seitdem habe ich versucht – und wer könnte mir das zum Vorwurf machen? -, ich habe jeweils von dem einen auf den anderen Tag versucht, sie an mich zu binden. Ich habe zu ihr gesagt, sieh mal, warte wenigstens noch diese nächste Veranstaltung ab, die ich organisiere. Warte wenigstens noch das ab, danach könntest du mich in einem ganz anderen Licht sehen. Und wenn auch die Veranstaltung dann vorüber war, sagte ich immer gleich zu ihr, nein, warte, da kommt noch etwas anderes, eine wunderbare Veranstaltung, ich arbeite gerade daran. Bitte, warte das noch ab. So habe ich das geschafft, Mr. Ryder. Während der vergangenen sechs oder sieben Jahre. Und ich weiß, das heute abend, das ist meine letzte Chance. Ich habe alles darauf gesetzt. Als ich es ihr vergangenes Jahr erzählt habe, als ich ihr zum erstenmal von meinen Plänen für diesen Abend erzählt habe, als ich es ihr in allen Einzelheiten beschrieb, wie die Tische stehen würden, wie das Programm für den Abend aussehen würde, ja sogar – Sie werden mir das verzeihen -, daß ich mit eingeplant hatte, daß Sie oder jemand von annähernd vergleichbarem Rang die Einladung annehmen und Höhepunkt des Abends sein würde, ja, als ich ihr zum erstenmal alles erklärte, als ich ihr erklärte, daß durch mich , durch diesen mittelmäßigen Menschen, an den sie so lange gekettet gewesen war, daß durch mich Mr. Brodsky die Herzen und das Vertrauen der Bürger dieser Stadt gewinnen und als krönenden Abschluß dieses großartigen Abends eine völlige Umkehr der Stimmung hier bewirken würde – haha! -, also Mr. Ryder, da hat sie mich angesehen, als wollte sie sagen: ›Sind wir also mal wieder soweit.‹ Aber ich sah ein Aufflackern in ihren Augen. Etwas, das sagte: ›Vielleicht schaffst du es diesmal wirklich. Das wäre dann ja mal etwas.‹ Ja, nur ein Aufflackern, aber es sind gerade diese Momente des Aufflackerns, die mich so lange Zeit haben weitermachen lassen. Ach, da wären wir ja, Mr. Ryder.«
Wir waren auf einen Parkstreifen neben einer Wiese mit hohem Gras gefahren.
»Also, Mr. Ryder«, sagte Hoffman. »Tatsache ist, ich bin ein bißchen spät dran. Ich frage mich, ob ich wohl so unhöflich sein und Sie bitten darf, jetzt allein weiter bis zur Dependance zu gehen.«
Ich folgte seinem Blick und sah, daß die Wiese steil einen Hügel hinauf anstieg und daß sich ganz oben auf der Hügelspitze eine kleine Blockhütte befand. Hoffman kramte im Handschuhfach herum und zog einen Schlüssel hervor.
»An der Tür der Hütte gibt es ein Vorhängeschloß. Die Einrichtung ist nicht gerade luxuriös, aber Sie haben dort Ihre Abgeschiedenheit, genauso wie Sie es sich gewünscht haben. Und das Instrument ist ein wirklich hervorragendes Beispiel für die Klaviere, die Bechstein in den zwanziger Jahren hergestellt hat.«
Ich schaute noch einmal den Hügel hinauf und fragte dann: »Diese Hütte da oben?«
»Ich komme Sie wieder abholen, Mr. Ryder, in zwei Stunden. Es sei denn, Sie brauchen schon früher einen Wagen.«
»Zwei Stunden werden genau richtig sein.«
»Tja dann, Mr. Ryder, ich hoffe, es wird alles zu Ihrer Zufriedenheit sein.« Hoffman deutete mit der Hand zur Hütte hinauf, als ob er mir auf höfliche Art und Weise den Weg zeigen wollte, aber es war eine
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