Die Ungetroesteten
erzählen. Wie lange ist das jetzt her?«
»Wie lange?« Hoffman schien diese Frage als eine Art Affront zu empfinden. »Ach... ich glaube, tja, Piotrowskis Konzert hier in der Stadt muß wohl vor etwa zweiundzwanzig Jahren stattgefunden haben.«
»Vor zweiundzwanzig Jahren?« fragte ich. »Und Ihre Frau ist während dieser ganzen Zeit bei Ihnen geblieben?«
Hoffman drehte sich verärgert zu mir um. »Was wollen Sie damit sagen, Mr. Ryder? Daß ich nicht weiß, wie die Dinge in meinem eigenen Zuhause stehen? Da vertraue ich mich Ihnen an, weihe Sie in diese intimen Gedanken ein, und Sie maßen sich an, mir Vorträge zu halten, als wüßten Sie besser über diese Dinge Bescheid als ich...«
»Wenn ich mich da in etwas eingemischt habe, das mich nichts angeht, dann bitte ich um Entschuldigung, Mr. Hoffman. Ich wollte lediglich darauf hinweisen...«
»Ja, worauf denn wohl, Mr. Ryder! Sie haben doch von all dem gar keine Ahnung! Tatsache ist, daß ich mich in einer verzweifelten Lage befinde, und das jetzt schon eine ganze Weile. Ich habe es an dem Abend bei Herrn Fischer gesehen, klar und deutlich, so deutlich, wie ich jetzt diese Straße vor mir sehe. Na schön, bis jetzt ist es noch nicht passiert, aber nur, weil... nur weil ich mich so bemüht habe. Jawohl, Mr. Ryder, und wie ich mich bemüht habe! Vielleicht lachen Sie mich jetzt aus. Wo ich doch weiß, es ist vergebliche Mühe, wieso mich da quälen? Wieso mich derart an sie hängen? Sie können so etwas gut fragen. Aber ich liebe sie innig, Mr. Ryder, heute mehr denn je. Das ist völlig undenkbar für mich, nie im Leben könnte ich sie gehen lassen, alles wäre dann vollkommen sinnlos. Schön, ich weiß, es hat keinen Zweck, früher oder später wird sie mich wegen jemandem wie Piotrowski verlassen, wegen irgend so jemandem, wegen jemandem, der so ist wie der Mann, für den sie mich gehalten hat, bevor sie dahintergekommen ist. Aber Sie können doch keinen Mann verspotten, der so an seiner Frau hängt. Ich habe mein Bestes getan, Mr. Ryder, ich habe mein Bestes getan, und zwar auf die einzige Art, in der es mir möglich war. Ich habe hart gearbeitet, habe Veranstaltungen organisiert, war Mitglied verschiedener Komitees, und es ist mir im Lauf der Jahre gelungen, in den Künstler- und Musikerkreisen der Stadt beträchtliches Ansehen zu erlangen. Und dann war da natürlich immer noch die eine Hoffnung. Da war die eine Hoffnung, die vielleicht erklärt, wieso ich sie so lange habe an mich binden können. Diese Hoffnung ist inzwischen begraben, seit ein paar Jahren schon ist sie begraben, aber sehen Sie, eine Weile lang war da diese eine, einzige Hoffnung. Ich spreche natürlich von unserem Sohn, von Stephan. Wenn er anders gewesen wäre, wenn er nur mit einem Fünkchen des Talents gesegnet gewesen wäre, mit dem ihr Zweig der Familie so überreich ausgestattet ist! Ein paar Jahre lang hatten wir beide diese Hoffnung. Jeder auf seine Art. Wir haben Stephan beobachtet und haben diese Hoffnung gehegt. Wir haben ihn zur Klavierstunde geschickt, wir haben ihn aufmerksam beobachtet, wir haben wider alle Vernunft diese Hoffnung gehegt. Wir haben uns verzweifelt bemüht, eine Spur des Talents zu entdecken, das nie dagewesen ist, ach, wir haben uns so sehr bemüht, aus jeweils unterschiedlichen Gründen, so sehr haben wir etwas entdecken wollen, aber es ist nie dagewesen...«
»Verzeihung, Mr. Hoffman. Sie sprechen jetzt von Stephan, aber ich kann Ihnen versichern...«
»Jahrelang habe ich mich zum Narren gemacht! Ich habe mir gesagt, daß er, na ja, daß er vielleicht ein Spätzünder ist. Da ist etwas, irgendein kleiner Keim. Ach, ich habe mich zum Narren gemacht, und ich darf wohl sagen, meiner Frau ging es nicht anders. Wir haben gewartet und gewartet, aber in den vergangenen Jahren ist es immer sinnloser geworden, sich etwas vorzumachen. Stephan ist jetzt dreiundzwanzig. Ich kann mir nicht länger einreden, daß er sich morgen oder übermorgen noch entfalten wird. Ich mußte mich damit abfinden. Er kommt nach mir. Und ich weiß jetzt, daß sie es auch gemerkt hat. Natürlich, als seine Mutter liebt sie Stephan von Herzen. Aber statt zum Mittel meiner Rettung zu werden, hat er sich zum genauen Gegenteil entwickelt. Jedesmal, wenn sie ihn anschaut, sieht sie den großen Fehler, den sie machte, als sie mich geheiratet hat...«
»Also wirklich, Mr. Hoffman, ich hatte das Vergnügen, Stephan spielen zu hören, und ich muß Ihnen sagen...«
»Eine Verkörperung, Mr.
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