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Die Ungetroesteten

Titel: Die Ungetroesteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kazuo Ishiguro
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gelegentlich irgendwelche zwanglosen Bemerkungen gewechselt. Für einen kurzen Augenblick war an jenem Vormittag zum erstenmal seit Monaten die Überzeugung aufgekommen, daß die Zukunft für sie doch noch etwas bereithielte. Brodsky hatte diesen Gedanken gerade schon äußern wollen, doch dann war ihm eingefallen, daß er damit das heikle Thema seiner jüngsten Mißerfolge berühren würde, und er hatte es sich anders überlegt.
    Dann hatte sie diese Bemerkung mit der Küche gemacht. Da er sich weigere, die Hartfaserplatten aus dem Raum zu entfernen und das, obwohl er es schon vor Tagen versprochen hätte, komme sie dort überhaupt nicht voran. Er hatte eine Weile geschwiegen und hatte dann, ganz leise, geantwortet, daß im Schuppen viel Arbeit auf ihn warte. Da es offensichtlich nicht einmal möglich war, ein paar Minuten friedlich zusammenzusitzen, könne er sich genausogut zum Arbeiten aufraffen. Und er war aufgestanden und durch das Haus zu dem kleinen Schuppen im Vorgarten gegangen. Keiner von beiden war laut geworden, und der ganze Wortwechsel hatte nicht länger als ein paar Minuten gedauert. Er hatte dem damals nicht viel Bedeutung beigemessen und war bald sehr von seinen Plänen hinsichtlich der Teppiche in Anspruch genommen gewesen. Einige Male im Lauf des Vormittags hatte er aufgeschaut und sie durch das staubige Fenster des Schuppens ziellos im Vorgarten umhergehen sehen. Er hatte mit der Arbeit weitergemacht und eigentlich damit gerechnet, daß sie auf der Türschwelle erscheinen würde, doch sie war immer wieder zurück ins Haus gegangen. Er war – zugegebenermaßen recht spät – zum Mittagessen hineingegangen, nur um feststellen zu müssen, daß sie bereits gegessen und sich nach oben zurückgezogen hatte. Er hatte eine Weile gewartet, war dann wieder in den Schuppen gegangen und hatte den ganzen Nachmittag gearbeitet. Nach einiger Zeit war ihm aufgefallen, daß es dunkel wurde und daß im Haus die Lichter angingen. Gegen Mitternacht war er schließlich wieder hineingegangen.
    Die ganze untere Etage des Hauses hatte im Dunkeln gelegen. Im Wohnzimmer hatte er sich auf einen Holzstuhl gesetzt, und während er auf das Mondlicht schaute, das auf ihre schäbigen Möbel fiel, hatte er darüber nachgedacht, wie merkwürdig dieser Tag verlaufen war. Er hatte sich nicht daran erinnern können, daß sie je einen Tag so verbracht hatten, und so hatte er beschlossen, die Dinge zu einem besseren Abschluß zu bringen, war aufgestanden und war zur Treppe gegangen.
    Als er oben angekommen war, hatte er gesehen, daß das Licht in ihrem gemeinsamen Schlafzimmer noch brannte. Als er darauf zuging, hatten die Dielenbretter unter ihm laut geknarrt und damit sein Erscheinen so deutlich angekündigt, als habe er sie gerufen. Vor der Tür war er stehengeblieben, und auf den Lichtstreif schauend, der unter der Tür durchfiel, hatte er versucht, sich ein wenig zu sammeln. Dann, gerade als er nach der Türklinke greifen wollte, war von der anderen Seite ihr Husten zu hören gewesen, nur ein kleines, mit ziemlicher Sicherheit unbeabsichtigtes Hüsteln, und doch hatte etwas daran ihn innehalten und ihn dann langsam die Hand zurückziehen lassen. Irgend etwas in diesem kleinen Geräusch hatte ihn an eine Facette ihrer Persönlichkeit erinnert, die er in letzter Zeit aus seinen Gedanken hatte verbannen können; einen Zug, den er in glücklicheren Zeiten sehr bewundert hatte, aber den er – und das war ihm plötzlich klargeworden – seit dem Debakel, vor dem sie kürzlich geflüchtet waren, mit wachsender Entschlossenheit zu ignorieren versucht hatte. Irgendwie hatte in diesem Hüsteln all ihr Perfektionismus gelegen, ihre strengen Prinzipien, die Seite in ihr, die sich immer fragte, ob sie ihre Kräfte auch in der denkbar nützlichsten Weise einsetzte. Er war plötzlich sehr wütend auf sie geworden, wegen des Hüstelns, wegen der ganzen Art, in der der Tag verlaufen war, und hatte sich umgedreht und war weggegangen, und es war ihm egal gewesen, wie laut dabei die Dielenbretter unter ihm knarrten. Als er dann wieder in die mit Lichtflecken gesprenkelte Dunkelheit des Wohnzimmers zurückgekehrt war, hatte er sich auf das alte Sofa gelegt, sich mit einem Mantel zugedeckt und war eingeschlafen.
    Am nächsten Morgen war er früh aufgewacht und hatte für sie beide das Frühstück vorbereitet. Sie war zur üblichen Zeit heruntergekommen, und sie hatten einander keineswegs unfreundlich begrüßt. Er wollte gerade sagen, wie sehr er

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