Die Ungetroesteten
Mr. Ryder. Wir wollen Bruno jetzt hierlassen.« Er drehte sich um und machte sich daran, langsam in Richtung Tal hinunterzuschlendern. »Wir wollen jetzt gehen. Leb wohl, Bruno, leb wohl. Du warst ein treuer Freund, aber eben nur ein Hund. Wir wollen ihn jetzt hierlassen, Mr. Ryder. Kommen Sie, begleiten Sie mich. Wir wollen ihn hierlassen. Es war sehr freundlich von Ihnen, für ihn zu spielen. Die allerbeste Musik. Aber ich kann jetzt nicht weinen. Sie wird bald hier sein. Es dauert jetzt nicht mehr lange. Bitte, wir wollen jetzt gehen.«
Ich schaute erneut in das Tal hinab und merkte nun, daß es ganz von Grabsteinen bedeckt war. Da fiel mir ein, daß wir auf genau den Friedhof zugingen, auf dem Brodsky sich mit Miss Collins verabredet hatte. Und als ich neben Brodsky herging, hörte ich ihn tatsächlich sagen:
»Am Grab von Per Gustavsson. Da wollen wir uns treffen. Ohne besonderen Grund. Sie sagte, sie würde das Grab kennen, das ist alles. Ich werde da warten, es macht mir nichts aus, ein wenig zuwarten.«
Wir waren durch das hohe Gras gegangen, doch dann kamen wir zu einem Fußweg, und als wir weiter den Abhang hinunterkletterten, konnte ich den Friedhof immer deutlicher erkennen. Es war ein ruhiger, abgeschiedener Ort. Die Grabsteine waren im Talgrund in ordentlichen Reihen aufgestellt, von denen einige bis zu den grasbewachsenen Hängen zu beiden Seiten anstiegen. Gerade fand eine Beerdigung statt; ich erkannte die dunklen Umrisse der Trauergäste, insgesamt etwa dreißig Menschen, die sich zu unserer Linken im Sonnenschein versammelt hatten.
»Ich hoffe wirklich, es geht alles gut«, sagte ich. »Ich meine natürlich Ihr Treffen mit Miss Collins.«
Brodsky schüttelte den Kopf. »Heute vormittag, da hatte ich noch ein gutes Gefühl. Ich habe gedacht, wenn wir nur reden, kommt schon alles wieder in Ordnung. Aber jetzt bin ich mir nicht mehr so sicher. Dieser Mann, Ihr Freund heute vormittag in der Wohnung von Miss Collins, vielleicht hatte der recht. Vielleicht kann sie mir jetzt nicht mehr verzeihen. Vielleicht bin ich zu weit gegangen, und sie wird mir nie mehr verzeihen können.«
»Ich bin sicher, es gibt keine Veranlassung, derart pessimistisch zu sein«, erwiderte ich. »Was immer auch geschehen ist, das ist jetzt Vergangenheit. Wenn Sie beide nur...«
»All diese vielen Jahre, Mr. Ryder«, sagte er. »Tief innen. Ich habe nie wirklich akzeptiert, was sie damals alle über mich gesagt haben. Ich habe nie glauben wollen, ich sei einfach nur dieser... dieser Niemand. Mit dem Verstand vielleicht ja, da habe ich akzeptiert, was sie gesagt haben. Aber nicht mit dem Herzen, nein, da habe ich es nie geglaubt. Nicht eine Minute lang, in all den Jahren. Immer habe ich es gehört, immer habe ich die Musik gehört. Also wußte ich, daß ich besser war, besser, als sie meinten. Und nachdem wir hierhergekommen waren, da war auch sie für eine kurze Zeit davon überzeugt, das weiß ich. Aber dann, tja, dann hat sie angefangen, daran zu zweifeln, und wer wollte ihr das schon übelnehmen? Ich nehme es ihr nicht übel, daß sie mich verlassen hat. Nein, ganz bestimmt nicht. Aber was ich ihr übelnehme, was ich ihr wirklich übelnehme, ist, daß sie nichts Besseres daraus gemacht hat. Ja, sie hätte auf jeden Fall etwas Besseres daraus machen sollen! Ich habe es erreicht, daß sie mich haßt, können Sie sich vorstellen, was mich das gekostet hat? Ich habe ihr ihre Freiheit zurückgegeben, und was fängt sie damit an? Nichts. Sie ist nicht einmal aus dieser Stadt fortgegangen, sie verschwendet einfach nur ihre Zeit. Mit diesen Leuten, diesen erbärmlichen Taugenichtsen, mit denen sie den ganzen Tag redet. Wenn ich nur gewußt hätte, daß sie nichts anderes mit ihrem Leben anfangen würde als das! Jemanden, den man liebt, von sich zu stoßen ist etwas sehr Schmerzliches, Mr. Ryder. Glauben Sie denn, ich hätte das unter diesen Umständen getan? Glauben Sie, ich hätte mich in diese Kreatur verwandelt, wenn ich gewußt hätte, daß sie sonst nichts mit ihrem Leben anfangen würde? Diese erbärmlichen, unglücklichen Leute, mit denen sie ständig redet! Und dabei war sie früher so ehrgeizig. Ja, so war das. Und sehen Sie nur, sie hat das alles vergeudet. Sie ist nicht einmal aus dieser Stadt fortgegangen. Wundert es Sie da, daß ich sie von Zeit zu Zeit angeschrien habe? Wenn das alles ist, was sie wollte, wieso hat sie das dann damals nicht gesagt? Glaubt sie etwa, das ist komisch, so irrsinnig komisch, ein
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