Die Ungetroesteten
trunksüchtiger Bettler zu sein? Die Leute denken sich, na schön, er ist ein Trinker, ihm ist alles egal. Aber das stimmt nicht. Manchmal wird alles klar, richtig klar, und dann... wissen Sie, Mr. Ryder, wie entsetzlich es dann ist? Sie hat sie nicht einmal ergriffen, die Chance, die ich ihr gegeben habe. Sie ist nicht einmal aus der Stadt fortgegangen. Immer nur reden, reden, mit diesen erbärmlichen Leuten. Ich habe sie angeschrien, aber können Sie mir das übelnehmen? Sie hat es verdient, alles, was ich gesagt habe, jede Silbe dieser widerlichen Beschimpfungen, sie hat das verdient...«
»Bitte, Mr. Brodsky, bitte. Das ist wohl kaum der richtige Weg, sich auf diese äußerst wichtige Begegnung vorzubereiten...«
»Glaubt sie denn, daß mir das Spaß gemacht hat? Daß ich es einfach nur so aus Jux gemacht habe? Ich hätte das nicht tun müssen. Hören Sie, Sie sollten wissen, wenn ich mit dem Trinken aufhören will, dann kann ich das. Glaubt sie denn, ich habe das nur zum Scherz gemacht?«
»Ich will mich ja nicht einmischen, Mr. Brodsky. Aber es ist doch sicher an der Zeit, solche Gedanken für immer zu verbannen. Es ist doch sicher höchste Zeit, all diese Differenzen, all diese Mißverständnisse endlich zu vergessen. Sie müssen einfach versuchen, das Beste aus dem Leben zu machen, das noch vor Ihnen liegt. Bitte, versuchen Sie doch, sich zu beruhigen. So können Sie doch Miss Collins nicht gegenübertreten, das würden Sie sicher hinterher bereuen. Übrigens, Mr. Brodsky, wenn ich das sagen darf, Sie hatten sicher recht, ihr gegenüber so besonders nachdrücklich von der Zukunft zu sprechen. Ihr Einfall mit dem Haustier ist meiner Meinung nach wirklich sehr gut. Ich finde tatsächlich, Sie sollten diesen Einfall und andere ähnliche Ideen nicht aus den Augen verlieren. Es gibt wirklich keine Veranlassung, die Vergangenheit wieder aufzurollen. Und natürlich haben Sie allen Grund, jetzt voller Hoffnung in die Zukunft zu schauen. Ich für meinen Teil habe vor, heute abend alles in meiner Macht Stehende zu tun, damit Sie von den Menschen dieser Stadt akzeptiert werden...«
»Ach ja, Mr. Ryder!« Seine Stimmung schien plötzlich umzukippen. »Ja, ja, ja. Heute abend, ja, heute abend habe ich vor … ich habe vor, großartig zu sein!«
»So ist es schon besser, Mr. Brodsky.«
»Heute abend werde ich keine Kompromisse eingehen, auf gar keinen Fall. Ja, schön, sie haben mich gehetzt, ich habe aufgegeben, wir sind fortgelaufen, hierher in diese Stadt gekommen. Aber tief in meinem Innersten habe ich noch nicht ganz aufgegeben. Ich wußte, ich habe nie eine wirkliche Chance gehabt. Und jetzt, endlich, heute abend... Ich habe so lange gewartet, ich gehe keine Kompromisse mehr ein. Und das Orchester, die Musiker werden sich noch wundern, wie hart ich sie rannehmen werde. Ich bin Ihnen wirklich dankbar, Mr. Ryder. Sie sind mir eine richtige Inspiration gewesen. Bis heute morgen habe ich Angst gehabt. Angst vor heute abend, Angst vor dem, was passieren wird. Ich sollte lieber vorsichtig sein, habe ich mir gedacht. Hoffman hat das gesagt, und die anderen auch, gehen Sie es vorsichtig und langsam an, haben sie gesagt. Schön langsam am Anfang, haben sie gesagt. Gewinnen Sie Schritt für Schritt ihre Gunst. Aber heute morgen habe ich Ihr Bild gesehen. In der Zeitung, beim Sattler-Haus. Da habe ich mir gesagt, das ist es, ja, das ist es! Bis zum Ende, ziehe es durch bis zum Ende! Halte nichts zurück! Die Musiker, die werden sich noch wundern! Und allen hier in der Stadt wird es ganz genauso gehen. Ja, ziehe es durch bis zum Ende! Dann wird sie schon sehen. Dann wird sie mich wiedersehen, sie wird erkennen, wer ich wirklich bin, wer ich schon die ganze Zeit gewesen bin! Das Sattler-Haus, ja, das ist es!«
Inzwischen waren wir auf ebenem Grund und gingen den grasbewachsenen Hauptweg des Friedhofs entlang. Ich nahm eine Bewegung hinter uns wahr, und als ich über die Schulter zurückschaute, sah ich, daß einer der Trauergäste auf uns zulief und eindringlich gestikulierte. Als er näher kam, sah ich, daß es ein dunkelhaariger, untersetzter Mann um die Fünfzig war.
»Das ist aber eine Ehre, Mr. Ryder«, sagte er atemlos, als ich mich zu ihm umdrehte. »Ich bin der Bruder der Witwe. Sie wäre hocherfreut, wenn Sie sich uns anschließen würden.«
Ich schaute in die Richtung, in die er deutete, und sah, daß wir jetzt recht nahe an dem Platz waren, wo die Beerdigung stattfand. Der leichte Wind trug sogar schon das
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