Die Ungetroesteten
gegeben, mich zu trösten, aber ich habe natürlich gesehen, wie unglücklich ihn das alles machte. Schließlich schaute er auf einen bestimmten Fleck auf dem Teppich – er war immer noch auf dem Boden, doch inzwischen fast ganz ausgestreckt, als wolle er einen Liegestütz machen -, er schaute auf den Teppich, und ich hörte, wie er vor sich hin murmelte. ›Ich schaffe es schon. Ich schaffe es schon. Ich habe schon Schlimmeres überstanden. Ich schaffe es schon.‹ Er schien vergessen zu haben, daß ich da war, also bin ich schließlich einfach gegangen und habe ganz leise die Tür hinter mir zugemacht. Und seitdem – tja, Mr. Ryder, ich habe den ganzen Abend kaum an etwas anderes denken können. Ich will ganz offen sein, ich komme mir ein bißchen hilflos vor. Es ist nur noch so wenig Zeit. Und Glass Passions ist ein so schwieriges Stück, das kann ich doch unmöglich parat haben, oder? Und um ehrlich zu sein, das Stück wäre noch jenseits meiner Fähigkeiten, auch wenn ich das ganze Jahr Zeit hätte, es einzustudieren.«
Mit einem sorgenvollen Seufzer kam der junge Mann zum Ende. Als nach einer kleinen Weile weder er noch Miss Collins etwas gesagt hatten, kam ich zu dem Schluß, daß ich nun meine Meinung äußern sollte. Also sagte ich:
»Das alles geht mich natürlich nichts an. Das müssen Sie schon selbst entscheiden. Aber ich persönlich meine, daß Sie in diesem späten Stadium einfach bei dem bleiben sollten, was Sie einstudiert haben...«
»Ja, das habe ich mir gedacht, daß Sie das sagen würden, Mr. Ryder.«
Miss Collins war es, die mir auf diese Weise ins Wort fiel. Es lag ein unvermuteter Zynismus in ihrem Tonfall, der mich veranlaßte, innezuhalten und mich ihr zuzuwenden. Die alte Dame sah mich auf eine wissende, leicht überlegene Art an. »Zweifellos«, fuhr sie fort, »werden Sie das – tja, wie? – ach ja, ›künstlerische Integrität‹ nennen.«
»Das ist es gar nicht einmal, Miss Collins«, erwiderte ich. »Nur von einem ganz praktischen Standpunkt aus gesehen meine ich, es ist in diesem Stadium schon ein wenig zu spät...«
»Aber woher wollen Sie wissen, daß es zu spät ist, Mr. Ryder?« unterbrach sie mich wieder. »Sie wissen doch sehr wenig von Stephans Fähigkeiten, ganz zu schweigen von den tieferen Hintergründen der mißlichen Lage, in der er sich gegenwärtig befindet. Wie kommen Sie dazu, ein solches Urteil abzugeben, so als seien Sie gesegnet mit einem zusätzlichen Sinn, der uns anderen fehlt?«
Schon seit Miss Collins mich das erste Mal unterbrochen hatte, war mir immer unbehaglicher zumute geworden, und während ihrer letzten Bemerkung hatte ich mich weggedreht, um ihrem Blick zu entgehen. Mir wollte keine schlagfertige Antwort auf ihre Fragen einfallen, und nach einer Weile entschied ich, es sei das Beste, die Begegnung zu einem Ende zu bringen, daher lachte ich einmal kurz auf und verschwand dann in der Menge.
Während der nächsten Minuten wanderte ich ziellos in dem Raum umher. Wie auch vorher schon drehten sich die Leute manchmal nach mir um, wenn ich vorüberging, doch niemand schien mich zu erkennen. Einmal sah ich Pedersen, den Mann, den ich im Kino getroffen hatte, mit anderen Gästen lachen, und ich überlegte, ob ich zu ihm hinübergehen sollte. Doch noch bevor ich das tun konnte, spürte ich, wie mich etwas am Ellenbogen berührte, und als ich mich umdrehte, sah ich Hoffman neben mir.
»Tut mir leid, daß ich Sie einen Augenblick allein lassen mußte. Ich hoffe, man hat sich um Sie gekümmert. Was für eine Situation!«
Der Hoteldirektor atmete schwer, sein Gesicht war schweißüberströmt.
»O ja, ich habe mich gut unterhalten.«
»Tut mir leid, ich mußte aus dem Raum, um einen Anruf entgegenzunehmen. Aber jetzt sind sie auf dem Weg, ganz bestimmt, sie sind auf dem Weg. Mr. Brodsky wird jeden Moment hier sein. Mein Gott!« Er schaute sich um, dann beugte er sich etwas vor zu mir und senkte die Stimme. »Diese Gästeliste war ein Fehler. Ich habe sie alle gewarnt. Ein paar von den Leuten hier!« Er schüttelte den Kopf. »Was für eine Situation!«
»Aber immerhin ist Mr. Brodsky auf dem Weg...«
»O ja, ja. Ich muß sagen, Mr. Ryder, ich bin so erleichtert, daß Sie heute abend bei uns sind. Gerade jetzt, wo wir Sie brauchen. Im großen und ganzen sehe ich keine Veranlassung für Sie, Ihre Rede allzusehr umzustellen wegen der, äh, wegen der Umstände. Vielleicht wären ein oder zwei Hinweise auf die Tragödie ganz angebracht, aber wir werden
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