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Die Ungetroesteten

Titel: Die Ungetroesteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kazuo Ishiguro
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davon.
    Ich stellte fest, daß ich mit vier anderen Gästen zusammensaß – einem Paar mittleren Alters und einem etwas jüngeren Paar -, die mich alle pflichtschuldig anlächelten, bevor sie ihre Unterhaltung wieder aufgriffen. Der Ehemann des älteren Paares erklärte gerade, weshalb ihr Sohn weiterhin in den USA leben wollte, und dann ging das Gespräch zu den diversen anderen Kindern des Paares über. Gelegentlich dachte der eine oder andere daran, mich der Form halber miteinzubeziehen – indem sie in meine Richtung blickten oder mir zulächelten, wenn ein Witz gemacht wurde. Doch niemand sprach mich direkt an, und bald gab ich den Versuch auf, ihnen zu folgen.
    Doch dann, als die Kellner begannen, die Suppe zu servieren, fiel mir auf, daß die Unterhaltung stockend und zerstreut geworden war. Während des Hauptganges schienen meine Tischnachbarn dann endlich alle Verstellung aufzugeben und fingen an, sich über das Thema zu unterhalten, das sie in Wirklichkeit beschäftigte. Sie warfen fast unverhohlene Blicke dorthin, wo Brodsky saß, und äußerten mit gesenkter Stimme Spekulationen, die die gegenwärtige Situation des alten Mannes betrafen. Einmal sagte die jüngere der beiden Frauen:
    »Es sollte unbedingt einer hingehen und ihm sagen, wie leid uns allen das tut. Wir sollten alle hingehen. Bis jetzt scheint noch niemand ein Wort mit ihm gesprochen zu haben. Seht doch nur, die Leute da an seinem Tisch reden kaum mit ihm. Vielleicht sollten wir hingehen, vielleicht sollten wir den Anfang machen. Dann können die anderen ja auch kommen. Vielleicht warten ja alle nur, genau wie wir.«
    Die anderen beeilten sich, ihr zu versichern, daß unsere Gastgeber alles unter Kontrolle hätten, daß Brodsky jedenfalls sehr gut aussehe, doch nur eine Minute später schauten auch sie sich nervös im Raum um.
    Natürlich hatte auch ich die Gelegenheit ergriffen, Brodsky ganz vorsichtig zu betrachten. Man hatte ihm einen Platz an einem Tisch gegeben, der ein wenig größer als die anderen war. Er saß zwischen Hoffman auf der einen und der Gräfin auf der anderen Seite. Die übrigen Tischnachbarn waren eine Reihe ernsthafter, grauhaariger Männer. Durch die Art und Weise, wie diese Männer ständig leise miteinander beratschlagten, bekam der Tisch etwas Verschwörerisches, was der allgemeinen Stimmung keinesfalls förderlich war. Was nun Brodsky selbst betraf, so ließ er keine sichtbaren Zeichen von Trunkenheit erkennen und aß mit gleichbleibendem Appetit, wenn auch ohne Begeisterung. Dennoch schien er sich in seine eigene Welt zurückgezogen zu haben. Fast den ganzen Hauptgang hindurch hatte Hoffman den einen Arm hinter Brodskys Rücken und schien ihm ständig etwas ins Ohr zu flüstern, doch der alte Mann starrte mit finsterem Blick immer weiter ins Leere, ohne zu antworten. Als die Gräfin ihn einmal am Arm berührte und etwas sagte, reagierte er wieder nicht.
    Gegen Ende des Desserts – das Essen war zwar nicht sensationell, aber recht zufriedenstellend gewesen – sah ich dann, daß sich Hoffman zwischen hin und her eilenden Kellnern seinen Weg durch den Saal bahnte, und ich merkte, daß er auf mich zukam. An unserem Tisch beugte er sich dann zu mir herunter und sagte mir ins Ohr:
    »Mr. Brodsky scheint ein paar Worte sagen zu wollen, aber um ganz ehrlich zu sein – haha! -, wir haben versucht, ihn davon abzubringen. Wir meinen, er sollte sich heute abend nicht noch einer zusätzlichen Belastung aussetzen. Also, Mr. Ryder, Sie sind dann vielleicht so freundlich, besonders gut auf mein Zeichen zu achten und sofort aufzustehen, wenn ich es Ihnen signalisiere. Sobald Sie dann mit Ihrer Rede durch sind, wird die Gräfin den offiziellen Teil der Veranstaltung für beendet erklären. Ja, wirklich, ich glaube, es wird das Beste für Mr. Brodsky sein, wenn er diese zusätzliche Belastung nicht auf sich nimmt. Armer Mann, haha! Diese Gästeliste, also wirklich« – er schüttelte den Kopf und seufzte -, »Gott sei Dank sind Sie hier, Mr. Ryder.«
    Bevor ich noch etwas erwidern konnte, eilte er, wiederum den Kellnern ausweichend, an seinen Tisch zurück.
    Die nächsten Minuten brachte ich damit zu, in den Raum zu schauen und die beiden möglichen Eröffnungssätze, die ich für meine Rede vorbereitet hatte, abzuwägen. Ich schwankte immer noch zwischen den beiden Alternativen, als der Lärm im Raum plötzlich erstarb. Da wurde mir bewußt, daß ein Mann mit ernstem Gesicht, der neben der Gräfin gesessen hatte, aufgestanden

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