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Die Ungetroesteten

Titel: Die Ungetroesteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kazuo Ishiguro
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jemand anderen auftreiben, der ein paar Worte über den Hund sagen wird, also wirklich, ich sehe keine Veranlassung für Sie, von dem abzuweichen, was Sie vorbereitet haben. Das einzige – haha! -, Ihre Rede sollte nicht allzulang sein. Aber Sie sind ganz bestimmt kein Mann, der...« Mit einem kurzen Auflachen brach er ab. Dann schaute er sich wieder im Raum um. »Ein paar von den Leuten hier«, sagte er noch einmal. »Wirklich ein Fehler. Ich habe sie alle gewarnt.«
    Hoffman ließ seinen Blick weiter durch den Raum schweifen, und so konnte ich mich in Gedanken einen Augenblick lang der Sache mit der Rede zuwenden, die der Hoteldirektor erwähnt hatte. Nach einer Weile sagte ich:
    »Mr. Hoffman, in Anbetracht der Umstände, denen wir uns hier gegenübersehen, bin ich mir nicht ganz sicher, wann ich aufstehen sollte und...«
    »Ach ja, ja natürlich. Wie feinfühlig von Ihnen. Sie haben ganz recht, wenn Sie einfach an der üblichen Stelle aufstehen, kann man nie wissen, was passieren wird... ja, ja, sehr vorausschauend von Ihnen. Ich werde neben Mr. Brodsky sitzen, und deshalb sollten Sie die Entscheidung über den geeignetsten Zeitpunkt vielleicht mir überlassen. Vielleicht sind Sie so freundlich und warten so lange, bis ich Ihnen ein Zeichen gebe. Meine Güte, Mr. Ryder, es ist so beruhigend, in einer Zeit wie dieser jemanden wie Sie bei uns zu haben.«
    »Aber ich helfe Ihnen doch gern.«
    Ein Geräusch am anderen Ende des Raumes veranlaßte Hoffman, sich abrupt umzudrehen. Er verrenkte sich den Hals, um durch den ganzen Raum schauen zu können, obwohl offensichtlich schien, daß nichts von Bedeutung geschehen war. Ich hüstelte, um seine Aufmerksamkeit wieder auf mich zu lenken.
    »Da ist nur noch eine Kleinigkeit, Mr. Hoffman. Ich frage mich gerade« – ich deutete auf meinen Bademantel -, »ich dachte, ich könnte vielleicht etwas anziehen, was ein wenig formeller ist. Ich frage mich, ob es eventuell möglich ist, ein paar andere Kleidungsstücke auszuleihen. Muß ja nichts Besonderes sein.«
    Zerstreut blickte Hoffman auf meinen Aufzug, dann schaute er fast sofort wieder weg und sagte geistesabwesend: »Ach, machen Sie sich keine Sorgen, Mr. Ryder. In solchen Dingen sind wir hier nicht sehr pedantisch.«
    Wieder verrenkte er sich den Hals, um an das andere Ende des Raumes zu schauen. Es schien mir offensichtlich, daß er mein Problem ganz und gar nicht registriert hatte, und ich wollte gerade die Angelegenheit noch einmal zur Sprache bringen, als es in der Nähe des Eingangs plötzlich zu hektischer Aktivität kam. Hoffman schreckte hoch, dann drehte er sich mit verzerrtem Lächeln zu mir um. »Er ist da!« flüsterte er, berührte mich an der Schulter und eilte davon.
    Stille senkte sich über den Raum, und ein paar Sekunden lang schaute jeder zur Tür hin. Auch ich wollte sehen, was da vor sich ging, doch die Aussicht war mir hoffnungslos versperrt. Dann nahmen die Leute um mich herum, so als hätten sie sich auf einmal wieder an den Entschluß erinnert, den sie vorhin gefaßt hatten, ihr Gespräch im Tonfall beherrschter Fröhlichkeit wieder auf.
    Ich bahnte mir einen Weg durch die Menge, bis ich schließlich Brodsky sah, der durch den Raum geführt wurde. Die Gräfin stützte ihn an dem einen Arm, Hoffman am anderen, und vier der fünf weiteren Leute flatterten aufgeregt um sie herum. Brodsky, der seine Helfer offensichtlich gar nicht wahrnahm, schaute mit finsterem Blick hoch zu der verzierten Decke des Raumes. Er war größer, aufrechter, als ich erwartet hatte, obwohl er sich gerade in diesem Moment derart steif bewegte – und in einem merkwürdig geneigten Winkel -, daß es von weitem schien, als bewegten sie ihn auf Laufrollen vorwärts. Er war nicht rasiert, aber es sah nicht allzu scheußlich aus, und seine Smokingjacke saß etwas schief, so als habe sie ihm jemand anderer angezogen. Seinen Gesichtszügen haftete, obwohl sie nun grob und gealtert waren, durchaus noch etwas Elegantes an.
    Einen Augenblick lang dachte ich, sie würden ihn zu mir führen, doch dann merkte ich, daß sie auf dem Weg in den Speisesaal nebenan waren. Ein Kellner, der an der Türschwelle stand, geleitete Brodsky und seine Begleiter hinein, und als sie im Speisesaal verschwunden waren, senkte sich ein zweites Mal Stille über den Raum. Bald darauf nahmen die Gäste ihre Gespräche wieder auf, aber ich spürte eine erneute Spannung in der Luft.
    In dem Augenblick bemerkte ich einen geraden einzelnen Stuhl, den man an

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