Die Ungetroesteten
bis sie schließlich lächelten, miteinander plauderten, einander höflich und liebenswürdig begrüßten, und das alles, als hätte es die unschönen Zwischenfälle der letzten halben Stunde nicht gegeben. Es war ungefähr um diese Zeit gewesen – nicht länger als zwanzig Minuten, nachdem Jakob Kanitz seine Ansprache beendet hatte -, daß Hoffman und ich eingetroffen waren. Kein Wunder also, daß ich unter der Schicht eleganter Fröhlichkeit etwas irgendwie Sonderbares bemerkt hatte.
Ich dachte immer noch über all das nach, was vor unserer Ankunft geschehen war, als ich auf der anderen Seite des Raumes Stephan entdeckte, der mit einer älteren Dame sprach. Die Gräfin neben mir schien immer noch in ihr Gespräch mit den beiden juwelenübersäten Damen vertieft zu sein, also murmelte ich leise eine Entschuldigung und entfernte mich langsam von ihnen. Als ich auf Stephan zukam, sah er mich und lächelte mich an.
»Ach, Mr. Ryder. Da sind Sie ja. Darf ich Ihnen Miss Collins vorstellen?«
Da erkannte ich die zierliche alte Dame, zu deren Wohnung wir etwas früher am Abend gefahren waren. In ihrem langen, schwarzen Kleid war sie schlicht, aber elegant angezogen. Sie lächelte und reichte mir die Hand, als wir uns begrüßten. Ich wollte gerade weiter höfliche Konversation mit ihr machen, als sich Stephan vorbeugte und leise sagte:
»Ich bin ein solcher Dummkopf gewesen, Mr. Ryder. Jetzt weiß ich überhaupt nicht mehr, was das beste ist. Miss Collins ist wie immer sehr freundlich gewesen, aber ich würde dazu auch gerne Ihre Meinung hören.«
»Sie meinen... wegen Mr. Brodskys Hund?«
»Ach. Nein, nein, das ist alles ganz schrecklich, ich weiß ja. Aber wir haben uns gerade über etwas ganz anderes unterhalten. Ich hätte wirklich gerne Ihren Rat. Tatsächlich hat Miss Collins gerade eben vorgeschlagen, daß ich Sie suchen gehe, stimmt es nicht, Miss Collins? Bitte glauben Sie mir, ich möchte damit niemanden langweilen, aber es hat sich da eine Komplikation ergeben. Ich meine, wegen meines Auftritts am Donnerstag abend. Mein Gott, ich bin ein solcher Dummkopf gewesen! Wie ich Ihnen ja schon erzählt habe, Mr. Ryder, habe ich Jean-Louis La Roches Dahlia vorbereitet, aber ich habe Vater gegenüber nie etwas davon erwähnt. Jedenfalls nicht bis heute abend. Ich habe mir gedacht, ich überrasche ihn damit, La Roche mag er wirklich sehr gerne. Außerdem würde Vater es sich nie träumen lassen, daß ich ein so schwieriges Stück beherrsche, also habe ich gedacht, es wäre eine riesige Überraschung für ihn, in mehr als nur einer Hinsicht. Aber jetzt, da der große Abend immer näher rückt, bin ich doch der Überzeugung, daß es wohl nicht ganz praktisch wäre, das Geheimnis noch länger für mich zu behalten. Zunächst einmal muß ja alles in einem offiziellen Programm gedruckt werden, neben jeder Serviette wird ein Exemplar liegen, Vater zermartert sich das Hirn wegen der Entwürfe, muß Entscheidungen wegen der Prägung treffen, wegen der Abbildung auf der Rückseite, wegen allem. Vor ein paar Tagen wurde mir klar, daß ich es ihm sagen mußte, aber immer noch wollte ich gern, daß es so etwas wie eine Überraschung ist, also habe ich darauf gewartet, daß sich die richtige Gelegenheit ergibt. Na ja, vorhin, als ich Sie und Boris abgesetzt hatte, ging ich in sein Büro, um den Autoschlüssel zurückzubringen, und da war er auf dem Fußboden und arbeitete einen Stapel Papiere durch. Er kauerte da auf Händen und Knien, all die Papiere waren auf dem Teppich um ihn herum verstreut, was gar nicht ungewöhnlich ist, so arbeitet Vater oft. Es ist ein recht kleines Büro, und sein Schreibtisch nimmt ohnehin schon so viel Platz ein, so daß ich auf Zehenspitzen um alles herumgehen mußte, um den Schlüssel zurückzulegen. Er fragte mich, wie alles gelaufen sei, und dann schien er sich, bevor ich noch irgend etwas antworten konnte, wieder in seine Papiere zu vertiefen. Na ja, als ich gerade gehen wollte, fiel mein Blick aus irgendeinem Grund auf ihn, wie er da auf dem Teppich kauerte, und da dachte ich, es wäre jetzt der richtige Moment, es ihm zu sagen. Es war einfach nur so ein Impuls. Also sagte ich ganz beiläufig zu ihm: ›Ach übrigens, Vater, ich werde am Donnerstag abend La Roches Dahlia spielen. Ich dachte, du würdest das gerne wissen.‹ Ich habe es nicht irgendwie besonders betont, ich habe es ihm einfach nur gesagt und auf seine Reaktion gewartet. Tja, er hat die Unterlagen, in denen er gerade gelesen
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