Die Ungetroesteten
dritten Brüderpaares konnte ich einfach nicht kommen. Nach einer Weile ärgerte ich mich doch sehr über mich, und dann faßte ich sogar den Entschluß, nicht eher vom Frühstückstisch aufzustehen oder mich an das zu begeben, was ich an diesem Tag zu erledigen hatte, bis mir die drei Brüderpaare eingefallen wären.
Boris, der nun den Raum betreten hatte und auf mich zukam, riß mich aus meinen Tagträumen. Er lief langsam, schlenderte lässig von einem abgedeckten Tisch zum anderen, als sei es reiner Zufall, daß er dabei immer näher zu mir kam. Er schaute absichtlich nicht zu mir hin, und selbst als er am Nebentisch angekommen war, hielt er sich dort auf und fingerte mit dem Rücken zu mir an der Tischdecke herum.
»Hast du heute morgen schon etwas gegessen, Boris«, fragte ich.
Er machte sich weiterhin an der Tischdecke zu schaffen. Dann fragte er in einem Tonfall, der nahelegen sollte, daß ihm die Antwort eigentlich recht egal war: »Gehen wir in die alte Wohnung?«
»Wenn du willst. Ich habe dir ja versprochen, wir gehen hin, wenn du willst. Willst du denn, Boris?«
»Mußt du denn nicht arbeiten?«
»Doch, aber das kann ich später immer noch. Wir können zu der alten Wohnung gehen, wenn du willst. Aber wenn wir gehen, dann sollten wir uns gleich auf den Weg machen. Du sagst es ja selbst, ich habe noch einen arbeitsreichen Tag vor mir.«
Boris schien nachzudenken. Er stand immer noch mit dem Rücken zu mir und spielte weiter an der Tischdecke herum.
»Also, Boris? Gehen wir?«
»Wird Nummer Neun dasein?«
»Ich denke schon.« Ich kam zu dem Schluß, ich müsse die Initiative ergreifen, also stand ich auf und warf meine Serviette auf den Tisch neben den Teller. »Komm, wir wollen gleich los, Boris. Es sieht so aus, als würde es ein sonniger Tag heute. Wir brauchen nicht einmal nach oben zu gehen und unsere Jacken zu holen. Komm, wir wollen gleich los.«
Boris schaute immer noch recht zögerlich drein, doch ich legte ihm den Arm um die Schultern und führte ihn aus dem Frühstücksraum hinaus.
Als Boris und ich durch die Halle gingen, sah ich, daß der Mann am Empfang mir zuwinkte.
»Ach, Mr. Ryder«, sagte er. »Diese Reporter sind vorhin wieder hier gewesen. Ich habe es für das Beste gehalten, sie vorläufig erst einmal wegzuschicken, und habe ihnen vorgeschlagen, sie sollten es in einer Stunde noch mal versuchen. Kein Grund zur Sorge, sie waren voll und ganz einverstanden damit.«
Ich überlegte einen Moment und sagte dann: »Leider bin ich gerade dabei, etwas sehr Wichtiges zu erledigen. Vielleicht könnten Sie die Herren bitten, ganz offiziell über Miss Stratmann einen Termin zu vereinbaren. Also wenn Sie uns entschuldigen wollen, wir müssen uns jetzt auf den Weg machen.«
Erst als wir das Hotel verlassen hatten und auf dem sonnenbeschienenen Bürgersteig standen, wurde mir klar, daß ich nicht mehr wußte, wie man zu der alten Wohnung kam. Einen Augenblick lang sah ich auf den Verkehr, der sich langsam an uns vorbeibewegte. Dann sagte Boris, der womöglich spürte, in welch schwieriger Lage ich mich befand: »Wir können mit der Straßenbahn fahren. Von der Haltestelle bei der Feuerwache.«
»Ja, das ist eine gute Idee. Also los, Boris, du gehst voraus.«
Der Verkehrslärm war so laut, daß wir uns während der nächsten Minuten kaum unterhalten konnten. Wir drängten uns schmale, von Menschen wimmelnde Bürgersteige entlang, überquerten zwei geschäftige kleine Straßen, gelangten dann zu einer breiten Allee mit Straßenbahnschienen und mehreren Spuren langsam fließenden Verkehrs. Der Bürgersteig war hier viel breiter, und wir bewegten uns nun ungehindert an den Fußgängern vorbei, an Banken, Bürogebäuden und Restaurants entlang. Dann hörte ich hinter mir schnell auf mich zulaufende Schritte und spürte dann, wie mich eine Hand an der Schulter berührte.
»Mr. Ryder! Ach, da sind Sie ja endlich!«
Der Mann, zu dem ich mich umdrehte, sah wie ein alternder Rockmusiker aus. Er hatte ein wettergegerbtes Gesicht und langes unordentliches, in der Mitte gescheiteltes Haar. Hemd und Hose saßen locker und waren cremefarben.
»Guten Tag«, sagte ich vorsichtig, ich hatte bemerkt, daß Boris den Mann mißtrauisch ansah.
»Was für eine Reihe höchst unglücklicher Mißverständnisse!« sagte der Mann lachend. »Man hat uns so viele verschiedene Termine genannt. Und vergangene Nacht haben wir recht lange gewartet, über zwei Stunden, aber macht nichts! So was kann ja vorkommen.
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