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Die Ungetroesteten

Titel: Die Ungetroesteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kazuo Ishiguro
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Minuten zu fahren. Also, wenn Sie hier eben warten, gehe ich jetzt ein Taxi heranwinken. Pedro, wieso machst du hier jetzt nicht ein paar Aufnahmen von Mr. Ryder, während er wartet.«
    Der Reporter ging schnell weg. Einen Augenblick später sah ich ihn am Straßenrand, er lehnte sich ein Stückchen über die Fahrbahn hinaus, einen Arm hatte er in die Luft gereckt.
    »Also, Mr. Ryder. Bitte.«
    Pedro kauerte auf dem einen Knie und schaute durch eine Kamera zu mir hoch. Ich setzte mich auf dem Stuhl in Pose – ich nahm eine entspannte, aber nicht allzu lässige Haltung ein – und zeigte ein höfliches Lächeln.
    Pedro drückte ein paarmal auf den Auslöser. Dann ging er ein Stück zurück und hockte sich wieder hin, diesmal neben einem nicht besetzten Tisch, wobei er eine Schar Tauben aufstörte, die nach ein paar Krümeln pickten. Ich wollte gerade meine Pose ändern, als der Reporter hastig zurückkam.
    »Ich kann im Moment kein Taxi bekommen, Mr. Ryder, aber gerade eben hält hier eine Straßenbahn. Bitte beeilen Sie sich, wir kriegen sie noch. Schnell, Pedro, die Bahn.«
    »Aber wird die Bahn auch genauso schnell sein wie das Taxi?« fragte ich.
    »Ja, ja. Bei dem Verkehr wird es mit der Straßenbahn sogar schneller gehen. Sie müssen sich wirklich keine Sorgen machen, Mr. Ryder. Das Sattler-Haus ist ganz in der Nähe. Ja, fast könnte man es sogar« – er hob die Hand, um die Augen vor der Sonne zu schützen und schaute in die Ferne -, »fast könnte man es sogar von hier sehen. Wenn dieser graue Turm da nicht wäre, könnten wir das Sattler-Haus jetzt von hier sehen. So nahe sind wir dran. Ja, wenn jemand von durchschnittlicher Größe – nicht größer als Sie oder ich -, wenn so jemand an einem Morgen wie diesem auf das Dach des Sattler-Hauses klettern, sich aufrichten und einen stangenartigen Gegenstand – etwa einen ganz gewöhnlichen Mop – hochhalten würde, dann könnten wir das über dem grauen Turm sehen, ohne uns anstrengen zu müssen. Sie sehen also, wir sind in Null Komma nichts da. Aber bitte, die Straßenbahn, wir müssen uns beeilen.« Pedro stand schon am Bordstein. Ich sah, wie er – die schwere Tasche mit seiner ganzen Ausrüstung hatte er geschultert -, sich Mühe gab, den Straßenbahnfahrer zu überreden, auf uns zu warten. Ich folgte dem Reporter aus dem Innenhof hinaus und stieg in die Bahn.

    Die Straßenbahn fuhr an, als wir drei uns auf den Weg durch den Mittelgang machten. Die Bahn war sehr voll, und so konnten wir nicht nahe beieinander sitzen. Ich zwängte mich auf einen Sitz weit hinten, zwischen einen kleinen älteren Mann und eine matronenhafte Mutter mit einem Kleinkind auf dem Schoß. Man saß überraschend bequem, und nach einer Weile fing ich an, die Fahrt zu genießen. Mir gegenüber saßen drei alte Männer, die zusammen eine Zeitung lasen, die von dem Mann in der Mitte gehalten wurde. Das Gerumpel der Bahn schien ihnen Probleme zu bereiten, und von Zeit zu Zeit kämpften sie um die Verfügungsgewalt über eine bestimmte Seite.
    Wir waren eine Weile gefahren, als mir auffiel, daß um mich herum eine gewisse Betriebsamkeit herrschte, und ich sah, daß eine Fahrscheinkontrolleurin auf dem Weg zu uns hinunter war. Da dachte ich, daß meine Begleiter einen Fahrschein für mich gekauft haben mußten – ich hatte das beim Einsteigen ganz gewiß nicht getan. Als ich das nächste Mal über die Schulter zurückschaute, sah ich, daß die Kontrolleurin, eine zierliche Frau, deren häßliche schwarze Uniform ihre attraktive Figur nicht gänzlich verbergen konnte, unseren Teil der Bahn fast erreicht hatte. Überall um mich herum holten die Leute ihre Fahrscheine und Monatskarten hervor. Ich unterdrückte die aufsteigende Panik und machte mich daran, mir in Gedanken etwas zurechtzulegen, was ich sagen könnte, etwas, das gleichzeitig würdevoll und überzeugend klingen würde.
    Dann stand auf einmal die Kontrolleurin bei uns und schaute auf uns herab, und meine Nachbarn streckten ihr die Fahrscheine hin. Während sie noch dabei war, die Fahrscheine zu lochen, erklärte ich entschlossen:
    »Ich habe keinen Fahrschein, aber in meinem Fall gibt es besondere Umstände, die ich Ihnen gern erklären würde.«
    Die Kontrolleurin sah mich an. Dann sagte sie: »Keinen Fahrschein zu haben ist eine Sache. Aber weißt du, du hast mich gestern abend schwer enttäuscht.«
    Kaum hatte sie das gesagt, da erkannte ich Fiona Roberts, ein Mädchen, mit dem ich in dem Dorf in Worcestershire in die

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