Die Ungetroesteten
es klingt eindrucksvoll. Sie übernehmen gern irgendwelche Sachen, wenn etwas in der Stadt organisiert wird. Als zum Beispiel das Pekinger Ballett hier war, haben sie die ganzen Flaggen für den Willkommensempfang gemacht. Na jedenfalls, sie halten sich für sehr vornehm, und bis vor kurzem haben sie mit jemandem wie mir nichts zu tun haben wollen. Die Inge hat mich nicht einmal gegrüßt, wenn ich sie in der Siedlung getroffen habe. Aber das hat sich natürlich alles geändert, als es dann bekannt wurde. Daß ich dich kenne, meine ich. Ich weiß nicht genau, wie es bekannt wurde, ich bin nicht herumgegangen und habe damit angegeben. Ich nehme an, ich muß es wohl jemandem gegenüber erwähnt haben. Na jedenfalls, du kannst dir ja denken, daß sich daraufhin alles geändert hat. Vor einiger Zeit ist Inge selbst einmal stehengeblieben, als wir auf der Treppe aneinander vorbeigingen, und hat mich zu einem ihrer Treffen eingeladen. Ich hatte nicht unbedingt Lust, mich mit ihnen einzulassen, aber ich bin dann doch hingegangen; ich nehme an, ich habe gedacht, ich könnte endlich ein paar Freunde finden, ich weiß auch nicht. Na ja, von Anfang an waren sich einige, darunter auch Inge und Trude, nicht ganz sicher, ob sie es glauben sollten oder nicht, weißt du, diese Sache, daß wir beide alte Freunde sind. Aber schließlich haben sie es dann doch geschluckt, ich nehme an, es hat ihnen ganz schön Auftrieb gegeben. Diese ganze Idee, daß wir uns um deine Eltern kümmern sollten, die stammt nicht von mir, aber die Tatsache, daß ich dich kenne, hatte sicher viel damit zu tun. Als das erste Mal die Rede davon war, daß du kommen wirst, ist Inge hingegangen und hat Herrn von Braun die Sache vorgeschlagen und hat erklärt, daß die Stiftung jetzt, nach dem Besuch des Pekinger Balletts, bereit wäre, eine wirklich bedeutende Aufgabe zu übernehmen, und überhaupt, eine aus der Gruppe sei eine alte Freundin von dir. So ungefähr. Und so erhielt die Stiftung die Aufgabe, deine Eltern während ihres Aufenthaltes hier zu betreuen, und alle waren natürlich begeistert, obwohl einige Frauen wegen der Verantwortung ganz schön nervös wurden. Aber Inge hat ihnen immer wieder Mut gemacht und ihnen gesagt, daß wir uns diese Aufgabe verdient hätten, nicht mehr und nicht weniger. Wir haben ständig diese Treffen abgehalten, wo wir dann Ideen austauschten, wie wir deine Eltern unterhalten könnten. Inge hat uns erzählt – es hat mir wirklich leid getan, das zu hören -, daß es deinen Eltern inzwischen gar nicht so gut geht, also kam eine ganze Reihe der offensichtlichen Sachen, Stadtrundfahrten und so, nicht in Frage. Aber es kamen viele Ideen, und bald waren alle ganz aufgeregt. Beim letzten Treffen fragte dann jemand, ob wir, na ja, ob wir dich nicht bitten sollten, uns zu besuchen, damit du uns alle kennenlernst. Um zu besprechen, was deinen Eltern gefallen könnte. Einen Augenblick lang herrschte Totenstille. Dann sagte Inge: ›Warum eigentlich nicht? Wir sind in geradezu einzigartiger Weise befähigt, ihn einzuladen.‹ Dann haben sie mich alle angestarrt. Also habe ich schließlich gesagt: ›Na ja, ich nehme an, er wird ziemlich beschäftigt sein, aber wenn ihr wollt, kann ich ihn ja fragen.‹ Und ich habe gesehen, wie begeistert sie alle waren, als ich das sagte. Als dann deine Antwort kam, tja, da war ich auf einmal eine Prinzessin, sie haben mich mit solcher Hochachtung behandelt, haben mich angelächelt und mich geherzt, wann immer sie mir über den Weg liefen, haben Geschenke für die Kinder gebracht und mir angeboten, dieses oder jenes für mich zu erledigen. Also kannst du dir ja wohl vorstellen, wie das gestern abend gewirkt hat, als du nicht aufgetaucht bist.«
Sie seufzte tief und schwieg einen Moment, und mit leerem Blick starrte sie durch das Fenster auf die vorüberziehenden Gebäude draußen. Schließlich fuhr sie fort:
»Ich sollte dir das wohl nicht zum Vorwurf machen. Schließlich haben wir uns jetzt schon so lange nicht mehr gesehen. Aber ich habe gedacht, du würdest wegen deiner Eltern gern kommen. Alle haben sich so viel überlegt, was man hier für deine Eltern tun könnte. Heute vormittag werden sie alle über mich reden. Kaum eine von denen geht arbeiten, die haben Männer, die das Geld ranschaffen, sie werden sich jetzt gegenseitig anrufen oder sich besuchen, und sie werden alle sagen: ›Die arme Frau, die lebt in ihrer eigenen Welt. Das hätten wir eigentlich früher schon sehen müssen. Ich
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