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Die Ungetroesteten

Titel: Die Ungetroesteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kazuo Ishiguro
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Macht verantwortlich war, die meine »Übungsstunden« bald auf mich ausüben sollten.
    »Aber du weißt doch«, hatte Fiona an dem Nachmittag zu mir gesagt, und ihr Gesicht in der Dunkelheit war ganz nah bei meinem gewesen, »wenn du heiratest, muß es nicht so sein wie bei deiner Mutter und deinem Vater. So wird es ganz bestimmt nicht sein. Mann und Frau streiten sich nämlich nicht andauernd. So streiten sie sich nur, wenn... wenn bestimmte Sachen passieren.«
    »Was für bestimmte Sachen?«
    Fiona hatte einen Augenblick lang geschwiegen. Ich hatte meine Frage schon wiederholen wollen, nur diesmal etwas aggressiver, als sie geantwortet und dabei ihre Worte mit Bedacht gewählt hatte:
    »Deine Eltern. Sie streiten sich doch nicht so, weil sie nicht mehr miteinander auskommen. Weißt du das denn nicht? Weißt du denn nicht, weshalb sie sich die ganze Zeit streiten?«
    Dann war plötzlich das Rufen einer ärgerlichen Stimme von außerhalb unseres Schlupfwinkels zu hören gewesen, und Fiona war verschwunden. Und während ich da allein in der Dunkelheit unter dem Tisch weiter sitzen blieb, drangen Geräusche aus der Küche zu mir, wo sich Fiona und ihre Mutter leise stritten. Einmal hörte ich Fiona in beleidigtem Tonfall fragen: »Aber wieso denn nicht? Wieso darf ich es ihm denn nicht sagen? Es wissen doch sowieso schon alle.« Und ihre Mutter antwortete immer noch leise: »Er ist jünger als du. Er ist noch zu jung. Du wirst es ihm nicht sagen.«
    Diesen Erinnerungen wurde Einhalt geboten, als Fiona Roberts noch näher an mich herankam und zu mir sagte:
    »Ich habe bis halb elf gewartet. Dann habe ich allen gesagt, sie könnten ruhig essen. Da waren die Leute nämlich schon kurz vor dem Verhungern.«
    »Ja sicher. Natürlich.« Ich lachte matt und schaute mich in der Bahn um. »Halb elf. Um die Zeit, tja, verständlich, daß die Leute da Hunger hatten...«
    »Und um die Zeit war es offensichtlich, daß du nicht kommen würdest. Keiner hat mir mehr geglaubt.«
    »Tja. Um die Zeit wird es wohl kaum zu vermeiden gewesen sein...«
    »Anfangs lief alles ganz großartig«, sagte Fiona Roberts. »Ich habe so was vorher noch nie gemacht, aber es lief wirklich großartig. Alle waren sie gekommen, Inge, Trude, alle waren bei mir in der Wohnung. Ich war ein bißchen nervös, aber es lief alles großartig, und ich war auch ganz aufgeregt vor lauter Vorfreude. Ein paar Frauen hatten so viel für den Abend vorbereitet, sie sind mit Mappen voller Informationen und Fotos gekommen. Erst gegen neun Uhr kam so eine Unruhe auf, und da habe ich dann das erste Mal gedacht, du kommst nicht mehr. Ich bin immer rein- und rausgegangen, habe frischen Kaffee gebracht, die Schälchen mit dem Knabberzeug wieder aufgefüllt und habe mir Mühe gegeben, daß alles ganz normal weiterläuft. Ich habe gemerkt, daß sie alle angefangen haben zu flüstern, aber ich habe immer noch gedacht, du kommst bestimmt noch, du steckst wahrscheinlich nur irgendwo im Stau. Dann wurde es später und immer später, und schließlich haben sie ganz offen miteinander geredet und geflüstert. Sogar während ich im Zimmer war, weißt du. In meiner eigenen Wohnung! Da habe ich ihnen dann gesagt, sie könnten ruhig essen. Ich wollte nur noch, daß alles vorbei ist. Da saßen sie dann alle und haben gegessen, ich hatte all diese kleinen Omeletts gemacht, und sogar beim Essen haben einige von ihnen, wie diese Ulrike, immer weiter geflüstert und gekichert. Aber weißt du, die gekichert haben, die waren mir irgendwie noch lieber. Sie waren mir lieber als Leute wie diese Trude, die so getan hat, als würde ich ihr leid tun, und die ganz bis zum Ende besonders nett zu mir gewesen ist, o Gott, wie ich diese Frau verabscheue! Als sie gegangen ist, konnte ich förmlich sehen, wie sie gedacht hat: ›Armes Ding. Sie lebt in einer Phantasiewelt. Wir hätten es uns eigentlich denken können. ‹ O Gott, wie ich sie alle hasse, ich bin richtig wütend auf mich, daß ich mich überhaupt mit denen eingelassen habe. Aber weißt du, ich wohne schon seit vier Jahren in der Siedlung, und ich habe noch mit keinem richtige Freundschaft geschlossen, ich war sehr einsam. Die ganze Zeit über wollten die Frauen, diese Leute, die gestern abend bei mir in der Wohnung waren, mit mir nichts zu tun haben. Sie halten sich für die Elite der Siedlung, mußt du wissen. Sie nennen sich Frauenstiftung für Kunst und Kultur. Das ist Unsinn, es ist gar keine Stiftung im eigentlichen Sinne, aber sie finden,

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