Die unglaubliche Entdeckung des Mr. Penumbra (German Edition)
zusammengefügt und gegen die Bucht versiegelt worden sind.
Die Bucht ist da draußen. Da oben. Wie hoch über ihnen ist sie? Penumbra hat keine Ahnung. Vielleicht drei Meter, vielleicht dreißig. Die Luft hat sich verändert. Es ist kalt, feucht und stickig, riecht nach Abgasen, die nicht entweichen können. Er fragt sich, ob hier unten eigentlich genug Sauerstoff ist. Was, wenn die Arbeiter sie noch nicht für den menschlichen Verkehr vorbereitet haben? Was, wenn er und Corvina auf halber Strecke ohnmächtig werden? Was, wenn sie bis zum Morgen niemand findet?
Corvina fährt voraus. Der auf und ab schwankende Schein der Laterne, die an seinem Lenker hängt, wirft einen verrückten Schatten, formt eine dunkle, virtuelle Gestalt, die hinter ihm über den Boden der Röhre tänzelt.
Penumbra ruft: »Hey, langsamer!« Aber Corvina versteht ihn nicht oder hört ihn nicht oder will ihn nicht hören. Penum bra atmet tief die schwere Luft ein und ruft noch einmal: » Würdest du bitte … « Er gibt auf. Corvinas Schatten schrumpft, das Funkeln wird schwächer. Die Dunkelheit verschluckt ihn.
Penumbra bleibt schwer schnaufend stehen. Er stützt sich auf den Lenker, den er zwar spüren, aber nicht sehen kann. Jetzt ist Corvinas Laterne völlig verschwunden.
Er ist kein Mensch, der zu Wutanfällen neigt, aber jetzt ist er wütend. Corvina! Jemandem wie ihm, wird Penumbra klar, folgt man nicht in einen schauerlichen unterirdischen Tunnel. Er ist tüchtig, ja, und souverän – aber er hat keine Geduld mit Menschen, die mit ihm nicht mithalten können.
Nun ja.
Er kann hier nicht ewig stehen bleiben.
Penumbra radelt langsam und vorsichtig weiter. Vor ihm nur Dunkelheit, vollkommene Leere – aber natürlich keine Hindernisse. Nichts kann ihm in die Quere kommen. Er spürt, wie das Vorderrad ansteigt, erkennt, dass er an der gewölbten Seitenwand der Röhre hinauffährt. Er steuert gegen, und die Schwerkraft zieht ihn wieder nach unten. So kann es gehen. Er muss einfach nach Gefühl fahren, sich auf die Krümmungen einlassen. Er muss einfach treten. Er kann die Augen schließen. Nichts kann ihm passieren.
Er verliert jegliches Zeitgefühl. Das ganze Universum zieht sich in der fast philosophischen Dunkelheit der Röhre zusammen, ihrer Raum-Zeit-Krümmung, die er sich mit seinen Beinen, nicht mit seinen Augen erschließt. Wenn er wieder aus der Röhre auftaucht, wird er vielleicht feststellen, dass zehn Jahre vergangen sind. Oder fünfzig. Er muss lächeln und zählt die Jahre im Takt seiner Pedaltritte mit: 2017 … 2018 … 2019. Wie wird die Stadt im einundzwanzigsten Jahrhundert aussehen? Vielleicht wachsen in diesem Park, den Yerba Buena Gardens, dann sogar Pflanzen oder …
Corvina ruft: »Ajax? Bist du das?«
Penumbra kommt rutschend zum Stehen. »Wo bist du?«
»Hier, hier.« Seine Stimme klingt niedergeschlagen, sie kommt ganz aus der Nähe. Penumbra kann ihn fast sehen, ein dunkler Umriss vor der noch dunkleren Röhre. Anscheinend sitzt Corvina auf dem Boden. »Ich brauche Hilfe, ich … es ist zu dunkel, Ajax. Ich habe die Laterne verloren.«
Penumbra legt sein Fahrrad vorsichtig auf den Boden und tappt langsam in Richtung Corvinas Stimme. »Ich komme«, sagt er. »Streck deine Hände aus.«
Seine Finger berühren etwas im Dunkeln, dann umklammert eine Hand sein Handgelenk – fest, zitternd, glitschig vor Schweiß.
»Alles in Ordnung, Marcus.« Er hievt ihn hoch oder versucht es zumindest. Fast kippt er mit ihm um. Die schiere Masse seines Körpers! Penumbra ächzt und zieht, und Corvina richtet sich auf. »Alles in bester Ordnung.«
Penumbra nimmt Corvina an der Hand, und sie gehen lange nebeneinanderher. Der Verkäufer sagt nichts, trottet nur vor sich hin. Sein Atem beruhigt sich, wird gleichmäßig. Seine Finger sind dick und fleischig, aber weich.
Schließlich: fiat lux. Eine verschwommene Andeutung von Licht, das zu einem Nadelstich, dann zu einem Punkt wird. Je schneller sie gehen, desto schneller wird es größer, also gehen sie sehr schnell, bis sie schließlich laufen und irgendwann Corvina Penumbras Hand loslässt und vorwärtsstürmt.
Am Ende steigt die Röhre wieder an, und als sie ins Licht der Embarcadero-Baustelle eintauchen, ist Corvina wieder ganz der Alte. Keine Spur mehr von dem Martyrium, das er in der Dunkelheit durchlitten hat.
»Das Schiff muss ganz in der Nähe sein«, sagt er mit forscher Stimme. Er hat wieder das Kommando.
Die Röhre öffnet sich zu einem
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