Die Unschuld der Rose
gehalten.
Vielleicht hatte er recht, und Sex ohne reden war besser. Ihre Worte hatten die zerbrechliche Perfektion des Augenblicks zerstört.
Worte … die tödlichste Waffe der Menschheit.
Dabei hätte doch vor allem sie wissen müssen, welchen Schaden Worte anrichten konnten. Sorglos hatte sie ihre Pfeile abgeschossen, ohne an die Wunden zu denken, die sie damit aufreißen konnte.
Jetzt bereute sie es und fühlte sich schuldig. Hätte sie nur nicht den Kredit angesprochen! In jedem Fall unterstellte er ihr nun, dass sie mit ihm schlafen würde, wenn sie das Geld für die Firma bekam.
Aber am meisten wünschte sie, sie hätte nicht nach seiner Ehe gefragt. Das war zu persönlich und unangemessen, das sah Grace inzwischen ein. Nach seinen bitteren Bemerkungen und weil sie seine Anspannung spürte, hatte sie sich nicht davon abhalten können.
Und dann hatte sie ihm in die Augen gesehen und den Schmerz und den Zynismus darin erkannt. Ihre Furcht hatte sich in Sorge und Mitgefühl gewandelt.
Was war für diese Dunkelheit in seiner Seele verantwortlich?
Welche Erinnerungen suchten ihn nachts heim, dass er vor den Computerbildschirm flüchtete?
Und warum hatte er sie geküsst?
Sie war nicht so naiv und töricht, dass sie in dem leidenschaftlichen Kuss mehr gesehen hätte als körperliche Lust. Auch wenn sie eine solch explosive Kraft bis zum heutigen Tag nicht erlebt hatte, war Grace klar gewesen, dass es so heftige Gefühle gab. Sie wusste, dass man Sex ohne Liebe haben konnte. Sie wusste das alles. Aber das hieß nicht, dass sie nicht an Liebe glaubte.
Etwas noch nicht gefunden zu haben, bedeutete nicht, dass es nicht existierte.
Und nur weil man es nicht erlebt hatte, konnte man sich dennoch danach sehnen.
Vielleicht würde sie diese Liebe nie erfahren. Aber das hielt Grace nicht davon ab, darauf zu hoffen. Und was war ein Leben ohne Hoffnung?
Auf einmal verstand sie die dunkle Leere, die sie in seinen Augen gesehen hatte. Rafael Cordeiro lebte ohne Liebe.
Warum?
Weshalb hatte er diese Entscheidung getroffen?
Und wieso kümmerte es Grace überhaupt?
4. KAPITEL
Ohne zu sprechen, wanderten Rafael und Grace den Pfad entlang. Das Vogelgezwitscher, das Quaken der Frösche und das Kreischen der Affen überdeckte ihr Schweigen.
Hin und wieder blickte Rafael sich nach ihr um. Warum er das tat, wusste Grace nicht. Sie glaubte nicht, dass er etwas dagegen hätte, wenn sie kopfüber in den Fluss fiel. Seit geraumer Zeit plätscherte das Wasser munter neben ihnen dahin.
Ganz offensichtlich wollte er in seinem Dschungelversteck alleine sein.
Sie hatte den Fehler gemacht und eine Hand nach ihm ausgestreckt. Daraufhin war er wie ein verletztes Raubtier zurückgewichen und hatte sie gewarnt.
Bleib auf Distanz. Komm mir nicht zu nahe.
Und genau das würde sie tun. Sie würde die fazenda besuchen, dann mit ihm zu dem Haus zurückkehren und sich seine Entscheidung über ihren Kredit anhören. Wie auch immer diese Antwort ausfiel, danach würde Grace abreisen.
Rafael Cordeiro mit seinen dunklen Geheimnissen und der zynischen Lebenseinstellung würde der Vergangenheit angehören.
Und das ist auch gut so, sagte sie zu sich selbst, während sie über eine Wurzel stieg. Niemals würde Grace zu den Frauen gehören, die Sex ohne Liebe genießen konnten. Denn sonst müsste sie ihre Träume aufgeben.
Und dazu war sie noch nicht bereit.
Grace war so tief in Gedanken versunken, dass sie mit ihm zusammenstieß, weil er unvermittelt stehen geblieben war.
„Entschuldigung.“ Hastig wich sie seiner hilfreich ausgestreckten Hand aus und blickte in die Bäume. „Warum halten wir?“
„Hier beginnt die fazenda. “
In seiner Stimme lag keinerlei Wärme. Er sprach wie ein Reiseleiter, der darauf trainiert war, die passenden Informationen zum richtigen Zeitpunkt abzuspulen.
Überrascht schaute Grace sich um, konnte aber rechts und links des Pfades nur dichten Dschungel erkennen. „Wir sind immer noch im Regenwald.“
„Der Kaffee wird mitten im Wald angebaut. Das Land hier gehört den Bauern. Sie leben und arbeiten in perfekter Harmonie mit der Natur.“ Seine Miene verfinsterte sich. „Solche Dinge sind dir doch wichtig, Grace, nicht wahr?“
Also standen sie wieder am Anfang. Harte Blicke und sarkastische Kommentare, deren tiefere Bedeutung sie noch nicht herausgefunden hatte.
„Ja, darauf lege ich großen Wert. Und ich kenne die Geschichte der fazenda . Eben weil der Kaffee auf ökologisch verträgliche Weise
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